Antifascist Action (AFA) ist eine britische Organisation, die es seit über 10 Jahren gibt und die in der Linken Großbritanniens eine Sonderrolle einnimmt.
Let's start at the very beginning
Am Anfang eine reine Anti-Nazi-Gruppe, die ihren Einfluß auf den Straßen spürbar machte, wusste AFA Naziaufmärsche, Konzerte und andere Veranstaltungen erfolgreich zu verhindern. Ihr bekanntester Erfolg aus der Zeit ist wohl die berüchtigte "Battle of Waterloo" 1992, als ein Treffpunkt für ein "Blood & Honour"-Konzert am Londoner Waterloo Bahnhof militant angegriffen wurde. Hunderte militante AntifaschistInnen ließen das Konzert platzen, indem sie die Besucher schon vorher in der Bahnhofshalle angriffen. Die Polizei war völlig überfordert, die Nazis machten sich in ihren Domestoshosen, alles lief wie geschmiert dank der nahezu militärischen Organisation der AFA. Aber auch in den Kieze warf AFA immer ein Auge auf Nazi-Kneipen, Buchhandlungen usw. Anstatt Auflösung der rechten Parteien wie der BNP (British National Party) oder der NF (National Front) zu fordern wie andere britische Antifa-Gruppen, setzte AFA auf Zerschlagung, aus einfachen Gründen: Erstens sahen sie ein, dass ein Verbot nur dazu beitragen kann, eine zersplitterte Bewegung mehr zu vereinen als alles andere (Beispiel FAP, Deutschland) und zweitens war ihnen bewusst, dass alle staatlichen Maßnahmen gegen "politischen Extremismus" in erster Linie gegen die revolutionäre Linke verwendet werden. Ihr Gründungsmotto "wir erkennen das Bedürfnis, Rassismus und Faschismus sowohl mit Gewalt auf der Straße wie auch ideologisch zu bekämpfen" zeigt, dass AFA durchaus keine reine Prügeltruppe war. Sie sah sich in der Tradition der deutschen Antifaschistischen Aktion der 30er Jahre, und gewissermaßen auch der britischen 43 Group, eine größtenteils jüdische militante antifaschistische Gruppe der Nachkriegszeit, die intensive Recherche-, Propaganda- und Straßenkampfpolitik betrieb.
Successful stategy
Mitte der 90er Jahre war es soweit. Nachdem die BNP eine paramilitärische Oranisation ins Leben gerufen hatte (Combat 18), die dann auch relativ erfolglos eine "Anti-Antifa"-Taktik betrieb und sich mehrheitlich damit beschäftigte, sich gegenseitig die Fressen einzuschlagen, musste die Partei umdenken. Den Nazis wurde klar, dass sie den Kampf auf den Straßen Großbritanniens nicht gewinnen konnten. Außerdem schadete sie nur ihrem Image als Saubermänner der Nation mit den vielen Schlägereien und waren für ein bürgerliches Publikum unattraktiv. Eine neue Stategie wurde entwickelt, die Kernaussage: "no more marches, meetings, punch-ups" (keine Aufmärche, Treffen, Schlägereien mehr). Das Ziel war, ihre europäischen Kameraden nachzuäffen, dass heißt, auf den Parlamentarismus zu setzen und als respektable Schlipsträger beim Wahlkampf (weiße) Babys zu küssen und (weiße) Omas zum Wahllokal zu fahren. Sie machten keinen Hehl daraus, dass sie Österreichs Jörg Haider (FPÖ) und Frankreichs LePen (FN) zu Vorbildern erhoben. In anderen Worten, die militante Strategie der AFA hatte vorerst gesiegt.
What now...?
Jetzt war es für AFA an der Zeit, die eigene Taktik zu ändern. Ein wichtiger Startpunkt für dieses Umdenken war die Einsicht, dass die traditionelle Linke in Großbritannien und anderswo bei der Arbeiterklasse in ihren Ansätzen gescheitert war, was unter anderem zum Wiederaufblühen des Faschismus führt. Die linken Parteien und Gruppen haben der Arbeiterklasse nichts mehr zu bieten, sie sucht eine Alternative bei den Rechten. In Großbritannien warf Tony Blairs "New Labour"-Partei die Arbeiterklasse über Bord und nahm Kurs auf die "neue Mitte" mit der Behauptung "We're all middle class now". Die erste Tat der neuen Regierung war, Sozialhilfe für alleinerziehende Mütter zu kürzen, damit diese "mehr Ansporn zum Arbeiten" hätten und nicht mehr "sozial isoliert" wären. Dabei hatten die Gewerkschaften und trotzkistischen Gruppen Blair beim Wahlkampf unterstützt, machten sich also genauso zu Verrätern in den Augen der Arbeiterklasse. In einem Londoner Wahlkreis forderte die trotzkistische Socialist Worker Party Wähler auf, Labour statt BNP zu wählen. Das Resultat: die BNP bekam vorübergehend ihren ersten Sitz in einem britischen Kommunalparlament. Die Wähler schauten sich die "Alternativen" an, und entschieden sich für diejenige, die in ihren Augen das meiste für sie, also für ihre Klasse, zu bieten hatte; die Rechten. Das gleiche Phänomen kann man bei der österreichischen Wahl beobachten: dort wählte jeder zweite Arbeiter die faschistische Freiheitliche Arbeiterpartei Österreichs. Die traditionelle Linke hatte durch ihre Flucht vor der Arbeiterklasse in Großbritannien ein Vakuum entstehen lassen, das die Nazis im Begriff waren aufzufüllen. Und AFA sah es als ihre Pflicht, dieses Vakuum mit linken Inhalten zu füllen.
Back to the roots
Bis zu diesem Zeitpunkt aber war die AFA eine reine antifaschistische,
antirassistische Gruppe gewesen. Mit ihrer Schwestergruppe Red Action
zusammen, begann AFA die konzeptionelle Arbeit für eine neue, wieder
klassenbezogene Bewegung. Sie nahmen Kontakt zu interessierten Gruppen auf,
bereiteten Treffen vor, schrieben Konzepte und Positionen, und Ende 1995
kam die Independent Working Class Association (IWCA) auf die Welt. Diese
unabhängige proletarische Vereinigung hatte das Ziel, die Arbeiter wieder
zurückzugewinnen, und zwar nicht durch Predigen und Erzählen, sondern durch
direkte Aktionen. Diese neue Gruppe sollte mit der Klasse zusammen kämpfen,
sei es um Kleinigkeiten oder um Weltrevolution. Sie sollte nicht von oben
herab die Klasse allwissend lenken, sondern eine von unten aufgebaute
demokratische Struktur bieten, in der die Klasse für ihre eigenen
Interessen aktiv kämpfen könne. Ihre Gründungsaussage: "Die Independent
Working Class Association wurde gegründet, um die politische Unabhängigkeit
der Arbeiterklasse zu fördern und zu feiern, und um die politischen und
ökonomischen Interessen dieser Klasse zu verfolgen, ohne Rücksicht auf
existierende politische und ökonomische Strukturen." (Oktober 1995, aus:
Working Class Rule in Working Class Areas)
Es war die Rede davon, dass alle Parteien die Arbeiterklasse verraten hätten, warum sollte die Klasse also noch Interesse an etablierten Parteien haben. Die Befürchtung lag nahe, einige "Revolutionäre" würden sie dafür angreifen, dass sie den revolutionären Kampf entlang der Linien der Alltagsprobleme des Proletariats führen wollte.
Let's get practical
Lange Rede, kurzer Sinn; AFA verwandelte sich, nicht ohne ein paar
Diskussionen, von militanten Straßenkämpfern in eine linke Kraft, die
weitaus schwierigere Kämpfe vor sich hatte. Die Mitglieder gingen in die
Wohnsiedlungen und Kneipen, redeten nun bewußt mit den Nachbarn oder
KollegInnen über ihre Probleme, spielten gewissermaßen eine Zuhörerrolle.
Öffentliche Treffen wurden abgehalten, ganze Siedlungen oder Bezirke per
Briefkastenflugblatt eingeladen. Verschiedene Projekte entstanden, von den
jeweiligen Bedingungen vor Ort abhängig.
In Birmingham wurde erstmals eine Sozialwohnsiedlung, in der über
dreiviertel der BewohnerInnen von Sozialhilfe lebt, zum Mittelpunkt. Die
linken Parteien verstrickten sich in verschiedene höchstwichtige Themen,
die die BewohnerInnen auch dementsprechend interessant fanden: z.B. ob das
Naturwissenschaftsmuseum mehr Förderung brauche, und ob der Mietspiegel
nach oben gehen dürfe (mindestens 75 % dieser Leute bekommen ihre Miete
vom Sozialamt bezahlt, egal wie hoch sie ist). Aber ihre echten Probleme
wurden nicht angesprochen. Hier hielt die IWCA ein offenes Treffen für die
ganze Siedlung ab, wo es um das empfundene Problem Nummer 1 ging:
wiederholte Raubüberfälle in der Siedlung. Natürlich waren einige schnell
dabei, die schwarzen Jugendlichen im allgemeinen für das Problem
verantwortlich zu machen, aber die Mehrheit von schwarzen und weißen Leuten
auf dem Treffen überzeugte sie, dass dies nicht der Fall war. Es stellte
sich heraus, dass die Raubüberfälle in den engen Gassen zwischen den
Häusern stattfanden und dass viele diese Gassen als Abkürzung am frühen
Abend benutzten. Die Lösung war zweierlei: einmal eine Flugblattkampagne,
um die Bewohner auf das Problem aufmerksam zu machen und einmal eine
direkte, präventive Aktion, nämlich, die Gassen zuzumauern. Besonders
Frauen wurden auch auf dem Nachhauseweg vom Supermarkt von anderen Bewohnern
begleitet, und die Täter konfrontiert. Der Kampf ging weiter, als die
Behörden sich einmischten und die neuen Mauern niederrissen, woraufhin
der Aufschrei so groß war, dass sie sie prompt wieder errichten lassen
mussten. Dabei fanden massive Repressionen gegen die vermeintlichen
Anführer von staatlicher Seite statt. Aber die Raubüberfälle hörten
zum großen Teil auf. Es wurde den BewohnerInnen der Siedlung durch diesen
relativ kleinen Kampf bewusst, dass sie durch ihr eigenes Tun etwas
bewirken können, dass der Klassenzusammenhalt eine wichtige Waffe ist und
dass der Staat für sie außer Repression wenig zu bieten hat.
In London wird der Kampf momentan um "gentrification" geführt, also um
soziale Umstrukturierung der Kieze. Ähnlich wie im Berliner Prenzlauer berg
werden einstige Arbeiterbezirke von der Bourgeosie "entdeckt" und fast
völlig entfremdet. In der Lokalpresse findet eine massive Hetze gegen die
Urbewohner, sogenannte "Prolls", statt, Preise steigen ständig, schicke
Cafés übernehmen das Straßenbild. Dabei leben viele ArbeiterInnen und
Erwerbslose unter unmenschlichen Wohnbedingungen, haben jeden Tag mit
Gewalt und Armut zu tun. Labours Lösung ist eine Kürzung des Wohngeldes
auf 80 % und die Privatisierung der Sozialwohnungen. AFA und die IWCA
versuchen, dagegen zu halten. Sie organisieren sich mit Mietinitiativen
und bieten Beratungsabende an, führen eine heftige Debatte in Lokalzeitungen
und verteilten vor kurzem 10.000 Ausgaben der "Hackney Independent", einer
unabhängigen Bezirkszeitung. Die Opposition wächst.
Where do we go from here?
Uns ist klar, dass diese Arbeit unter anderen Voraussetzungen stattfindet
als in Berlin oder der BRD. Zum ersten werden viele deutsche
AntifaschistInnen, ob revolutionär oder bürgerlich, noch mit gewalttätigen
Prügelnazis konfrontiert. Zum zweiten stellen die organisierten Rechten in
Deutschland eine weitaus stärkere Kraft als in Großbritannien dar. Aber die
Situationen ähneln sich trotzdem; die Hintergründe sind gleich. Auch in der
BRD treten rechte Parteien als "Alternative" für das Proletariat auf und
haben durchaus Erfolg damit. Der einst "rote Wedding" wählte zu 5 % die
Republikaner, die jetzt einen Sitz in der örtlichen Bezirksversammlung
haben. Auch in der BRD ist die Arbeiterklasse von der traditionellen Linken
enttäuscht und verraten worden. Und das "Schröder-Blair-Papier" lässt
erahnen, dass die Bedingungen in der BRD langsam oder schnell in Richtung
Billiglohnparadies umgewandelt werden.
Auch wir müssen zusehen, dass wir das Vertrauen der Arbeiterklasse
zurückgewinnen. Das werden wir schlecht erreichen können, wenn wir uns auf
traditionelle Antifa-Politik konzentrieren. Wenn eine militante britische
Gruppe die Fesseln der traditionellen Anti-Nazi-Politik abwerfen kann,
sollten wir das auch tun können. Auch wir müssen den potentiellen Rechten
eine bessere, klassenbewusste Alternative bieten können. Auch wir müssen
dort eingreifen, wo echte Kämpfe entstehen und mit der Klasse selbst
kämpfen, unabhängig von irgendwelchen vermeintlich linken Parteien, die
uns sowieso nur als Feigenblatt benutzen. Dieser Artikel ist gewissermaßen
ein Aufruf an Anti-Nazi-Gruppen, ihre Perspektive jenseits der
alteingesessenen Themen und Politik zu erweitern, ihre Arbeit zu überdenken
und sich nicht auf "Feuerwehr-Poltik" zu begrenzen, sondern die Wurzeln des
Problems anzugreifen.
Das erfordert phantasievolle Lösungen und ein Annähern an die proletarische
Klasse und harte Arbeit.
Rote Antifaschistische Initiative