"Wir sind unpolitisch"

Braune Zonen und der Kampf um die Normalität

Seit Beginn der 90er ist in rechtsextremen Theorieorganen, etwa "Nation und Europa" von Manfred Rouhs, eine verstärkte Rezeption kulturpolitischer Ansätze zu verzeichnen, nicht zuletzt eine Anlehnung an den "Kampf um die Köpfe" gemäß Antonio Gramscis Theorien über das Schaffen einer revolutionären Situation durch Umformung scheinbar "unpolitischer" Wertesysteme:

"Ich hebe hier auch ein bißchen auf Antonio Gramsci ab, (...) der eben sagt, man muß den Streit führen um die kulturelle Hegemonie. Wenn wir das konkret tun wollen, dann müssen wir das machen mit Kulturträgern, die auch akzeptiert werden."1 So warb N&E-Herausgeber Rouhs vor Jahren beim traditionellen rechten Spektrum für die Akzeptanz der Skin-Kultur.

Der Kampf um die Normalität

Gramsci ging davon aus, daß moderne kapitalistische Gesellschaften weniger auf direkter Repression, sondern wesentlich auch auf "Hegemonie" (=Führung) aufbauen. Im Bereich des Überbaus unterschied er demgemäß zwischen unmittelbar politischer und mittelbar politischer Sphäre, der sogenannten "Zivilgesellschaft". Diese besteht aus sämtlichen formellen wie informellen Vereinen und nicht unmittelbar politischen Institutionen - vom Fußballklub über die Nachbarschaftsinitiative, den Stammtisch bis hin zu Schulen, Kirchen und dem ADAC. In diesem Bereich sind die Menschen in einer Wahldemokratie tatsächlich und unmittelbar eingebunden, hier wird debattiert und darüber entschieden, was normal, was plausibel ist.

Anders als traditionelle Ideologietheoretiker ging er dabei nicht davon aus, daß die Vorstellungen, mit denen die Menschen zum Stammtisch gehen, nur die Notwendigkeiten des Kapitalismus widerspiegeln. Der Alltagsverstand, die "Folklore der Philosophie" bestehe vielmehr aus Ablagerungen verschiedenster Epochen - christliche Nächstenliebe, nationaler Chauvinismus stehen zunächst ziemlich unvermittelt neben diffusen Vorstellungen ê la "die da oben ...". Der politische Kampf sei nun darum zu führen, diese diffusen und widersprüchlichen Vorstellungen in einer bestimmten Richtung zu organisieren, so daß das jeweils erwünschte Element handlungsbestimmend wird. So ist dieses politisch-kulturelle Feld, besagte "Zivilgesellschaft", sowohl Schutzschild der Verhältnisse, als auch der Platz des Kampfes für deren Umsturz.

Der Alltagsverstand, der die Wertesysteme umfaßt, die dann in einer politischen Frage über die Antwort entscheiden, bedarf keiner Legitimation, denn er gilt für sich als evident, natürlich, unpolitisch. Die Tatsache, daß er sich wandeln kann, ist selten bewußt.

Die kulturelle Subversion über Dominanz in der Alltagskultur, über Identifizierungs- und Gruppenangebote sowie Nazimusik ist demgemäß selten mit einer unmittelbar politischen Botschaft verbunden. Die Gefolgschaft der "harten Kerne" ist tatsächlich davon überzeugt, einfach nur normal zu sein. Die Jungskins, die vor Kameras betonen, sie seien unpolitisch, lügen insofern nicht. Schlimmer: Ihr Umfeld bestätigt ihnen das.

Das Phänomen kultureller Hegemonie der Rechten setzt sich eigendynamisch durch und ist keineswegs von einem strategischen Zentrum gesteuert, bildet aber den Hintergrund für rechte Strategien wie die der "national befreiten Zonen":

"Es geht keinesfalls darum, eigenständige staatliche Gebilde oder ähnlichen Unsinn ins Leben zu rufen. Nein, befreite Zonen bedeuten für uns die Etablierung einer GEGENMACHT. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen WIR faktisch die Macht ausüben, in denen WIR sanktionsfähig sind, d.H. WIR bestrafen Abweichler und Feinde, WIR unterstützen Kampfgefährtinnen und - gefährten (...)"2

"Befreit" werden kann alles mögliche: Der S-Bahnwagen, der durch drohende Präsenz ein paar Stationen lang ethnisch gesäubert wird, der CB-Kanal, der durch Drohungen und Geschimpfe "besetzt" wird, die nationale Newsgroup und schließlich der ganz handfest dominierte Jugendclub, Stadtteil, Ort oder gar Landkreis.

Der Mainstream: Normal ist rechts

Schon der Bundestagswahlkampf widerspricht der These, daß Neonazis heute "am Rand der Gesellschaft" stehen. Die bürgerlichen Parteien versuchen gleichzeitig, sie als "rechtsradikal" zu stigmatisieren und ihre Inhalte zu integrieren. Schon sprachlich wird die Verbindung von "kriminell" und "Ausländer" immer enger. Spätestens seit dem "Asylkompromiß" können Nazis sich in radikalisierter Form den Volkswillen auf die Standarten schreiben.

Seit den 80er Jahren verstärken die Mainstream-Medien ihre Angriffe auf eine "linke Hegemonie", die in manchen Bereichen nach '68 tatsächlich bestand, noch öfter aber von den Rechten als Punchingball imaginiert wurde. Es wurden und werden Situationen der moral panic in nicht als "politisch" geltenden Bereichen geschaffen. Einer der auffälligsten Bereiche ist sicher die Strafjustiz: Ob "Kinderschänder", "Serientäter" oder "organisierte Kriminalität": Die Botschaft ist die gleiche. Die lasche Justiz ist eigentlich nicht auf der Seite des Rechts, sondern auf der Seite des Verbrechens. Schwächliche oder verwirrte Staatsanwälte und Richter lassen einfach jeden laufen und bestrafen dann auch noch die wenigen aufrechten Ermittler, die im Kampf um die Gerechtigkeit zu unorthodoxen Mitteln greifen. Kriminalfilme dieses Inhalts bilden geradezu ein eigenes Genre.

Am Beispiel der Massenmedien wird allerdings auch klar, daß die These von der Manipulation der eigentlich doch guten Bevölkerung durch Dauerberieselung mit Stereotypen und Lügen zu einfach ist - schließlich schreiben Zeitungen nicht nur das, was sie mitteilen wollen, sondern ganz maßgeblich auch das, was sich verkaufen läßt. Oben und unten spielen stets zusammen. Der Rechtsruck jedenfalls kommt langsam richtig in Fahrt und ist - das ist die Pointe - "unpolitisch" und "ideologiefrei".

Die DDR - die wahre Nation

Die offene Dominanz der extremen Rechten gerade unter Jugendlichen ist in ländlichen Gebieten oder Kleinstädten der FNL Normalität geworden. Inwiefern ist die DDR-Vergangenheit dafür verantwortlich?

Selbstverständlich spielt die Ost-Erfahrung einer Gesellschaft von Oben eine Rolle bei der Ausprägung eines rechten Lebenstils.

Spätestens dann allerdings, wenn auch "radikale Linke" beim DDR-Dissing mit der taz ins gleiche Horn stoßen können - den Ossis fehlt halt unsere demokratische "Selbstbestimmung" - sollte sich ein gewisses Problembewußtsein einstellen: Daß nämlich erstens lebenslange Selbstvermarktung keineswegs demokratisch ist, und zweitens die formale Reduktion des Nazi-Problems auf die FDHJ wenig gegen die Zustände voranbringt, dafür aber der Sorte von Totalitarismustheorie Vorschub leistet, die alle "Extreme" in eins setzt, während die bürgerliche Gesellschaft in der goldenen Mitte steht und sich die Hände in Unschuld wäscht. Bei allem Erbe der DDR sind es auch heute die gut bürgerlichen Tugenden der Spießergesellschaft, an denen die Rechte anknüpft.

Interessanter ist deshalb, wie sich diese in der DDR fortsetzten und die SED-Doktrin nationales Denken bediente.

Während der Berlin-Krise, den beiden Währungsreformen und der daraus resultierenden "deutschen Teilung" bezichtigte das "Neue Deutschland" den Monopolkapitalismus und seine Drahtzieher an der Wall-Street einer "volksfeindlichen" Spalterpolitik. Kein Jahrfünft nach dem Ende des Volksstaates gerierte sich die spätere DDR-Führung als dessen Anwältin.

Natürlich sollte mit "Volk" etwas anderes gemeint sein als im Nationalsozialismus, doch blieb es bei definitorischen Versuchen. Dem reaktionären bürgerlichen Nationalismus wurde der "sozialistische Patriotismus" begrifflich entgegengestellt. Diesen Patriotismus muß man verstehen als das Engagement für die "Gestaltung der Heimat zur wirklichen Heimat"3, er trug per definitionem "Klassencharakter" und sollte zur "patriotischen Tat" erziehen. Der "Klassencharakter der nationalen Frage" war das Gerüst des DDR-Nationenbegriffs auch der nach dem VIII Parteitag ausgerufenen "Entwickelten Sozialistischen Gesellschaft". Der Sozialismus tritt hier als "Vollender der nationalen Einigung" auf, denn erst eine Nation ohne Klassenschranken sei eine "wahre" Nation. In Konsequenz dieser theoretischen Figur galt der Nationalsozialismus als "antinational".

Das Pendant zum sozialistischen Patriotismus war der "proletarische Internationalismus", der seinerseits dem "imperialistischen

Kosmopolitismus" gegenübergestellt wurde. Nach dem "Jugendlexikon Philosophie" von 1981 hat man unter letzterem zu verstehen: "Ausdruck der Tatsache, daß das Monopolkapital sich internationalisiert und andere Völker schonungslos ausbeutet und unterdrückt". Dabei sei das Bestreben dieser US-imperialistischen Ideologie, "nationales Kulturerbe" zu zerstören. Richtig ist, daß die bürgerliche Gesellschaft sich weltweit und möglichst umfassend in den Besitz von Ressourcen, Märkten und Produktionsmitteln setzen muß. Gefährlich ist die Annahme, daß sie dabei (europäische) Nationen und "ihre" Kultur zerstört, denn diese entstammen dem gleichen geschichtlichen Prozeß wie jene. Die somit halbierte Kritik ist so verheerend wie der Kulturpessimismus der westdeutschen Friedensbewegung, die Beethoven gegen McDonald's in Anschlag brachte.

Dem personifizierbaren, aber dennoch abstrakt-zersetzenden Bösen tritt ein konkretes und natürliches Gutes gegenüber: Das Volk. Oder doch die Arbeiterklasse? Ein Lehrplan für polytechnische Schulen aus dem Jahr 1959: Die "tiefe Liebe zur Arbeiterklasse" solle komplettiert werden durch "glühenden Haß gegen die imperialistischen und militaristischen Feinde unseres Volkes". Die Klasse ist das Volk, und das Volk ist Klasse.

Wo geht`s zur Identität?

Konkretes Beispiel für das verzweifelte Suchen der DDR-Führung nach einer hegemonialen Basis - und dafür, daß diese Suche bei Deutschland endete - ist der Umgang mit Preußen. In den Fünfzigern galt Preußen als das "Unglück Deutschlands", als Keimzelle des Nationalsozialismus. Ab den Siebzigern wurde das Preußen-Bild in der DDR langsam revidiert. 1980 wurde vor der Berliner Humboldt-Universität das Reiterstandbild Friedrichs II. wiedererrichtet. Die Biographie Friedrichs, 1979 von Ingrid Mittenzwei veröffentlicht, fand reißenden Absatz; im Vorwort der zweiten Auflage läßt die Autorin etwas pikiert durchblicken, daß sich das Publikum für Histörchen und Anekdoten, für Einzelheiten aus dem Familienleben des Preußenkönigs interessierte, nicht für die von Mittenzwei ausgearbeitete "klassenmäßige Einordnung" des Potentaten. Im Zuge der daraufhin einsetzenden HistorikerInnen-Debatte um "Erbe und Tradition" versuchte die DDR-Historiographie ein "gutes" Preußen zu isolieren, um sich auch hier in Übereinstimmung mit der Geschichte bringen zu können.

Bezeichnenderweise standen gerade die deutschen Tugenden Fleiß, Ordnung und Unterordnung, Sauberkeit und immer wieder Arbeit in der DDR im Ruf, "sozialistisch" zu sein.

Die DDR-Skins galten, von den Hakenkreuzen mal abgesehen, als fast vorbildliche sozialistische Bürger. Bei Prozessen wegen "Rowdytums" wurden gegen sie vergleichsweise milde Strafen verhängt, die Aussagen von Arbeitskollegen fielen meist positiv aus: Fleißig, zuverlässig, gute Arbeiter.

In einer Sammlung von LeserInnenbriefen an die Berliner Zeitung aus dem Spätherbst 1984 zeigt sich, wie eng gerade diese Tugenden bei fast der Hälfte der SchreiberInnen mit rassistischen Positionen verknüpft waren. Ein längerer, im Stil eines Manifestes verfaßter und mit "Im Namen der Mitarbeiter mehrerer Bereiche des Betriebes VEB Haushaltelectric Berlin" unterzeichneter Brief hebt an: "Mit Bestürzung und Empörung haben wir vom Antrag mehrerer Hundert Polen gelesen, die sich in unserem Land ansiedeln wollen (...) Jeder kennt die Mentalität der Polen. Sie sind größtenteils arbeitsscheu und verdienen auch oft ihr Geld auf unehrlich Weise (...)".

Auch hier ein Zusammenspiel von oben und unten: Als in Polen die Solidarnosc-Streiks begannen, wurden antipolnische Ressentiments von der Parteileitung bewußt geschürt, um ein Überschwappen in die DDR zu verhindern. Was sich gegen "die Polen" schon in den Achtzigern zusammenbraute, geriet nach der Öffnung der Ostgrenze zum ersten Ansatz einer rassistischen sozialen Bewegung. Militante Nazis blockierten stundenlang Grenzübergänge oder griffen polnische Autos an - oft unter spontanem Applaus.

Die DDR kannte "Ausländer" hauptsächlich in der Form der aus Arbeitskräftemangel angeworbenen "Vertragsarbeiter" aus anderen

sozialistischen Staaten. Diese lebten in gesonderten Wohnblocks, den heutigen "Heimen" für AsylbewerberInnen nicht unähnlich. Eine Integration in den Alltag fand nicht statt. Auch zu DDR-Zeiten gab es alltäglichen Rassismus. So kam es beispielsweise in der kleinen Stadt Fürstenwalde in den Achtzigern zu Massenschlägereien zwischen der deutschen Bevölkerung und den cubanischen Vertragsarbeitern. Diese wurden mit auch heute üblichen Stereotypen belegt: Sie machten "unsere" Frauen an, seien unsauber, störten einfach. Die Cubaner hätten die Schlägereien "provoziert".

In den letzten fünf Jahren der DDR prägte sich zudem eine organisierte rechte Szene aus, die sich nach "Skins" und "Faschos" ausdifferenzierte. Skins waren meist etwas jünger und traten öffentlich auf. Sie waren für Bier und Deutschland ("größer als die Bundesrepublik"), gegen Ausländer und Polizei, für Sauberkeit und Stärke. Faschos waren meist älter und viel

politisierter. Sie waren bekennende Nationalsozialisten, traten aber nicht öffentlich in Erscheinung, sondern knüpften in oft romantisierendem Konspirationskult verdeckte Verbindungen. Was heute "national befreite Zonen" ausmacht, eine eigendynamische, dominante Subkultur im Dunstkreis bekennender Nazis, entwickelte sich, wenn auch im Kleinen, bereits in der DDR.

VEL

1 nach: Bulletin des Zentrum für demokratische Kultur. Nr. 1/98, S. 7.

2 Mailbox "Widerstand", Erlangen, Ende 1997.

3 Direktive zur Arbeit mit dem Lehrplan zur Unterstufe, Berlin 1955.

4 Irene Runge u.a.: Ausland DDR - Fremdenhaß, Berlin 1989.

aus: Arranca! nummer 15