Tom-&-Jerry-Underground

Die Akademisierung des Pop, die Fiktion Underground und die singende Arbeiterklasse

Günther Jacob im Gespräch mit Markus Wailand und Oliver Marchart

 

Falter: Du glaubst an die Wissenschaftsdisziplin Popkultur?

Günther Jacob: Nach 50 Jahren Popmusik ist auch eine Geschichte des Pop enstanden, das ist was anderes als noch in den fünfziger oder sechziger Jahren. Schon die Fülle des Materials befödert Kanonisierungs- und Historisierungsversuche. Und es gab auch in der Popmusik schon immer Versuche, die hundert besten Platten zu definieren, also Hierarchien zu bilden, die haben aber selten Bestand gehabt.

Ist aber ein sehr beliebter Zeitvertreib.

Ich kenne kein Musikzeitschrift, die das noch nicht gemacht hat. Andererseits gibt es inzwischen auch eine akademische HipHop-Literatur in Amerika, teilweise Bücher mit allen wesentlichen Rap-Texten. Das ermöglicht plötzlich Leuten den Zugriff auf das "Phänomen", obwohl die keine einzige Rap-Platte kennen. Somit sind materielle Voraussetzungen für eine Akademisierung geschaffen.

Stichwort Cultural Studies - da wird Kultur neu ins akademische Feld gezogen.

Ja, aber nicht nur im Pop. Es gibt in Deutschland zur Zeit an sechs Universitäten jüdische Studien. Das ist auch eine Übertragung von Cultural studies und Black studies und Popular culture studies aus Amerika, nur sind dort die Betroffenen selbst involviert. In Deutschland gibt es gerade noch zwanzigtausend Juden, und plötzlich passiert es, daß an den Hochschulen der Versuch unternommen wird, sich mit jüdischer Kultur beschäftigen zu wollen. Es gibt also einen Versuch, jüdische Kultur zu konstruieren und zu essentialisieren, wo dann von Woody Allen bis Talmud-Exegesen und Kochrezepten alles unter jüdischer Kultur gefaßt wird.

Zurück zum Pop, und ab in den Untergrund: Woher kommt das rege Interesse am Vorhandensein eines solchen?

Begonnen hat das über den Repolitisierungsdiskurs, der vor drei, vier Jahren einsetzte. Ich sehe darin den Versuch, sich eine Art Scheinauthentizität zu geben. Also eine Rückanbindung von Kunst an das Leben, eine Art soziale Erdung. Ich bezeichne das als Imagetransferstrategien: Man versucht, das Image der Kunstavantgarden auf den Pop zu leiten, um sich und diese intellektuell aufzuwerten. Du kannst auch versuchen, das Image von Wissenschaftsdiskursen und Poststrukturalismus an Pop anzubinden, um damit den Popdiskurs aufzuwerten. Und so versucht auch ein Teil der Kunstszene über das Image von meinetwegen HipHop, das pralle Ghetto-Leben in den Kunstdiskurs reinzunehmen. Das hat sich aber schon wieder aufgehört und in Richtung Techno verlagert.

Woran nicht zuletzt viele Medien große Freude haben - "Techno" ist ja fast schon so strapaziert wie "Internet". Wer betreibt solche Entwicklungen?

Es spielt sicher eine Rolle, daß die Achtziger-Jahre-Rebellen im Pop ein Alter erreicht haben, in dem sie Entscheidungen treffen müssen, was sie mit ihrem akkumulierten Popwissen, von der Kneipenerfahrung über die Plattenkenntnisse bis hin zu den ganzen sozialen Strategien anfangen. Soll ich das jetzt im universitären, im journalistischen oder im Kunstbereich anwenden? Ein gutes Beispiel hierfür ist diese Münchner Journalistenschulclique, Huetlin, Poschardt und wie sie alle heißen, die nennen sich ja intern ZK.

Zentralkommitee?!

Nein Zitierkartell. Die haben sich während des Studiums schon vorgenommen, sich als Rebellen gegenseitig zu fördern. Interessant daran ist, daß diese Leute nicht mehr diesen Weg durch den Underground gehen müssen und faktisch auch solchen Menschen wie Diedrich Diederichsen vor die Nase gesetzt werden.

Die aufwendige Initiation fällt weg?

Ja, das sind Leute, die kommen aus einem subkulturellen Umfeld, kennen sich aus und verwerten ihre Erfahrungen sofort im Kulturteil der Woche und die anderen im Spiegel. Das ist eine ganz neue Generation im Gegensatz zu den komische Rock-Journalisten, die aus einer gewissen sozialpädagogischen und sozialdemokratischen Perspektive über handgemachte Musik schreiben. Nur daß sie am Mahagonischreibtisch für 8000 Mark im Monat sitzen. Und dagegen ist eine Zeitschrift wie SPEX absolut hilflos. Dadurch entsteht eine strukturelle Krise für SPEX, weil sie ihren Avantgardestatus verliert. Das heißt, der Mainstream wird schneller.

Und SPEX?

...kommt in ein sehr komplexes Feld, denn wenn sie überhaupt noch was am Leben hält, dann ist es das Bedürfnis der Mainstream-Medien, so etwas wie eine Underground-Adresse zu haben. Sie werden immer mehr instrumentalisiert, und wenn sie sich dieser Rolle entziehen würden, würden sie vollkommen bedeutungslos werden.

Und dennoch boomt die Legende von der Subkultur.

Dieses Pop-Underground-Stichwort ist wie ein Versprechen für die Easy-going-Revolution. Das ist der leichte, attraktive, geile Widerstand, mit den besseren Frauen, dem besseren Sex, den besseren Leuten, der größten Ästhetik. Dieses Versprechen war natürlich immer nur ein Versprechen. Für mich ist das nur eine Ersatzgeschichte für den Ausweg Grün, der vor zehn Jahren dran war und der jetzt tot ist. Das war halt ein neues Angebot.

Bleibt die Frage, wo das herkommt - zum Beispiel bei den "Wohlfahrtsausschüssen", wo deutsche Bands und andere Kulturschaffende ein politisches Statement abgegeben haben. Verschaffen sich politisch arbeitende Leute im Sinne von "Mit Musik geht alles besser" ein attraktiveres Umfeld, oder greifen sich Leute aus Kunst oder Musik ein wenig die Politik, um authentischer zu wirken?

Der "Wohlfahrtsausschuß" wurde an meinem Küchentisch gegründet, das muß ich jetzt einmal sagen. Wir hatten in Hamburg immer wieder solche Sachen gemacht. "Schnauze, Deutschland" zum Beispiel. So ist auch der "Wohlfahrtsausschuß" entstanden. Doch da muß irgendwas Seltsames passiert sein, da kam diese Zuschreibung von außen, der WA ist der Way out und das Bündnis für die Linksradikalen und Künstler. Künstler - das waren alles Punks, die hätten sich doch nie Künstler genannt oder Boheme oder so was.

Dann standst du auf einmal als Underground-Figur da...

Die Kulturindustrie produziert diesen Gegensatz als Mythos selbst: Underground kämpft gegen Overground wie eine Figur, wie Westernfilme oder "Tom & Jerry".

Wir sollten jetzt vielleicht den Sprung zur radikalen Linken wagen. Im Unterschied zu anderen Leuten, die jetzt mehr oder minder unterhaltsame Pop-Theorien entwickeln, deklarierst du immer wieder die radikale Linke als deinen Hintergrund. Ist der Verweis auf die radikale Linke möglicherweise selbst ein Distinktionsversuch?

Stimmt, so könnte es ja auch sein. Nun, meine Motivation ist die Frage, wie man in den Neunzigern als sozusagen orthodoxer Marxist eine Kapitalismuskritik üben kann, die am Puls der Zeit ist. Anfang der achtziger Jahre war mir klar, daß man mit einem bipolaren Klassenmodell Argumentationsprobleme bekommt. Auf diesem Weg bin ich auf den Begriff der Lebensstile gestoßen, und auf die Erkenntnis, daß diese Distinktionsstrategien als Klassenkampf anzusehen sind.

Welche Rolle spielt "Prol-Kultur" für dich? Einerseits müßte die doch Zielobjekt deines Interesses sein, andererseits hast du immer wieder stark gegen die "singende Arbeiterklasse" polemisiert.

Mein Verhältnis zum Proletariat ist kein hoffnungsvolles, weil ich ja für die Abschaffung des Proletariats bin, das Proletariat ist mir immer sehr negativ erschienen. Was auf Sat.1 oder RTL zu sehen ist, oder Leute, die in Amerika im Büstenhalter fett am Strand herumgehen, ja, das beleidigt einfach mein Auge und mein ganzes ästhetisches Empfinden. Wohnwagenkultur an der Ostsee mit Jägerzaun rundherum. Aber es ist auch nicht mein Ding, Prol-Kultur von einem hochkulturellen Standpunkt aus zu kritisieren.

Ist dieses Konzept von Linksradikalität nicht ein elitistisches? Auch mit der Frage, wie viele sich das dann leisten können?

Leisten können ist so eine Frage, es gibt von Brecht den schönen Satz: ein guter Marxismus kostet 30.000 Goldmark ohne alle Schikanen, das heißt: ohne Hegel. Ich führe natürlich ein bohemisches Leben, aber ich leiste es mir: indem ich etwa gewisse Karrieremöglichkeiten, die mir meine Biographie angeboten hätte, an mir vorüberziehen lasse. Was soll man dazu sagen. Ich hab natürlich tatsächlich keine Lust, so ein Dumpfbacke-Linker zu sein, dazu weiß ich halt zu viel.

(FALTER (Wien) 4/96, S.56)