Hans im Glück

Das Technosubjekt im Freizeitknast

Katja Diefenbach

"Sie können das auch materialistisch-marxistisch haben, abgeleitet aus dem Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, sogenannter HistoMat, und das Ganze jetzt auf den Punkt gebracht, auf Widerspruch, auf Widerstand, gegen dies und jenes, weltweit in den letzten Jahren, und Erstickung desselben auf der anderen Seite durch das, was man seinerzeit Konsum-Terror nannte. Da sind Sie dann mit Ihrem Lustprinzip, ja was sind Sie da? Richtig: Sklave der Hedonismus-Industrie, wenn Sklave einer ist, der freiwillig oder unfreiwillig seine Ketten lustvoll erlebt, die ihn in Wirklichkeit fesseln. Ja, ja Sie sehen: Das mit dem Masochismus haben Sie uns ja vorhin vorgeworfen, haben uns als Masochisten-Clübchen tituliert, sicher in wohlmeinender und lediglich provokanter Absicht. Ja, das mit dem Masochismus, das ist ein noch viel weiteres Gebiet. Da fallen ja dann Sie gleich auch noch mit drunter. Und was uns betrifft, sind wir ja dann in bester Gesellschaft und uns sogar in diesem Punkt einig, nicht wahr?"

Frontpatient 6, Sozialistisches Patientenkollektiv

 

EIN INDIVIDUELLES LEBEN IST EINE SERIALISIERTE, KAPITALISTISCHE MINI-KRISE, EIN DESASTER, DAS DEINEN NAMEN TRÄGT

Brian Massumi

 

 

Auf den ersten Blick

Hans, der Geselle, beginnt nach siebenjähriger Lehrzeit seine Wanderschaft durch das frühkapitalistische Deutschland. Den weiten Heimweg zur Mutter tritt er mit einem Klumpen Gold unter dem Arm an, die Entlohnung seiner Dienste. Vor der Reise war Hans wie alle anderen. Seine Arbeit zeitigte Gegenstände. Als Entlohnung seiner Arbeit erhielt er einen Klumpen Gold, um die von anderen in gleicher Weise geschaffenen Gegenstände, so er sie meint besitzen zu wollen, kaufen zu können. Gold war das allgemeine Äquivalent, nach dem der abstrakte Tausch aller möglichen Waren sich bemaß. Und die Einhaltung dieses Gesetzes im Umgang mit Tauschwerten galt als vernünftig. Was aber tut Hans? Es scheint, als würde er sich mit dem Beginn der Wanderschaft erstmals wirklich bewegen. Rasch wechseln die Orte, und eindrucksvoll häufen sich ungeahnte Möglichkeiten der Erfahrung, zerfasert sich der Glückswunsch in eine Vielzahl begehrenswerter Objekte des Genusses. Man hat ihn losgelassen. Und nun hätte er zu beweisen, wie nachhaltig er das Regelsystem, dem er sieben Jahre folgte, verstanden hat. Offenbar hat er aber nichts begriffen. Zwar hat er ein Handwerk gelernt, aber nicht das Tauschwertsystem, das auch den Wert seiner Lohnarbeit beziffert. Insgeheim hat er seine eigenen Phantasien über den Wert der Dinge:

Glückswerte, vielzählig und ohne gemeinsamen, transzendenten Signifikanten, der sie ordnet, zum Beispiel Gold oder Sinn des Lebens. Er "opfert", wie die anderen sagen, sein Gold den wechselnden Wunschbildern und Glücksversprechen, weil er den Goldklumpen nimmt, wie er ist, nämlich nach einer Weile schwer auf die Schulter drückend. Wir wissen, wie Hans aus der Geschichte hervorgeht: mit einem Stein - aber fröhlich.

Er hat nichts verloren, weil ihm der "rechte", der ordnende Sinn fehlt, der kalkulierende Geist und der berechnende Aufschub der Lust. Das eben ist sein Glück. (Variation eines Themas von Michael Kötz: "Hans im Glück. Das verlorene Subjekt der neuen Medien.")

Das Märchen vom Hans-im-Glück, aufgeschrieben und überarbeitet von den Gebrüdern Grimm, ist eine moralische Ermahnung, eine in eine Parabel verpackte Warnung, den Regeln der kapitalistischen und der symbolischen Ordnung zu folgen. Wir haben eine kleine Märchen-Maschine vor uns, die die Liebe zur Disziplin, zur Sparsamkeit, zum Verzicht lehrt, und die drohend vor Augen hält, was denen passiert, die aus der Rolle fallen, die die Dinge nicht beisammen halten können, die das Ziel einer geordneten, kalkulierenden Subjektivität verfehlen. Wir müssen also die Geschichte vom Hans, die eine Geschichte vom (versagten) Glück ist, gegen den Strich lesen, um einige geheime Botschaften aufzuspüren. An erster Stelle finden wir einen Hinweis darauf, daß Subjektivität, die Art und Weise, wie wir uns selber heute vorfinden, historisch produziert ist. "Mit dem 17./18. Jahrhundert entstand eine Macht,", schreibt Foucault, "die über die Produktion und die Dienstleistung ausgeübt wurde. Es galt, von den Individuen in ihrem konkreten Leben produktive Leistungen zu erhalten. Und aus diesem Grund war eine wirkliche und tatsächliche 'Verkörperung' der Macht notwendig, in dem Sinne, daß diese bis zum Körper der Individuen, bis zu ihren Gesten, bis zu ihren Einstellungen, bis zu ihren tagtäglichen Verhaltensweisen kommen mußte. Daher die Bedeutung von Methoden wie der schulischen Disziplinierung, der es gelungen ist, den Körper der Kinder zum Gegenstand höchst komplexer Manipulation und Konditionierung zu machen."

Foucaults Frage war, wie sich allmählich, schrittweise, tatsächlich und materiell ausgehend von der Vielfältigkeit der Körper, Kräfte, Energien, Materien, Wünsche, Gedanken usw. die Subjekte konstituiert haben: "Man muß die materielle Instanz der Unterwerfung in ihrer subjektkonstituierenden Funktion erfassen." Hans-im-Glück spricht zu uns aus einer Zeit, als die großen Institutionen moderner Normierungsmacht installiert wurden: Schulen, Arbeits-, Armenhäuser usw.. Nach dem Maß von Uhr und Arbeit wurden die Körper gelehrig gemacht und Subjekte produziert, die Macht und Herrschaft verinnerlicht haben: Sieg der Selbst- und Körperkontrolle. Wanderer und Landstreicher, Vagabunden und Bettler, Marketenderinnen, Hebammen und Trickbetrügerinnen wurden grausam verfolgt, in Arbeits- und Armenhäusern eingesperrt oder ermordet. Wer ein wenig durch vergangene Zeiten schweift, erfährt noch einmal von der Gewalt, mit der das moderne Subjekt mit festem Wohnsitz, das neben dir in der Schlange an der Supermarktkasse ansteht, geformt wurde. Und wer Lust dazu hat, Marx' "Kapital" aus irgendeinem Regal zu ziehen, findet im 24. Kapitel über "Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation" eine sehr eindringliche historische Darstellung von der Disziplinierung der Bevölkerung seit Ende des 15. Jahrhunderts, als sie allmählich aus feudalen Abhängigkeiten freigesetzt wurde: "So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriierte, verjagte und zum Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk-terroristische Gesetze in eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht, -gebrandmarkt, -gefoltert."

Wenn wir uns hier also ganz kurz und assoziativ noch einmal vergegenwärtigen, wie das moderne Subjekt entstanden ist, durch welche Schulen der Normierung, der Dressur, ja der Normalisierung es gegangen ist, durch Familie, Schule, Anstalt, Psychiatrie, Klinik, Gefängnis usw., dann ist mir wichtig zu betonen, daß wir damit keine ökonomistische Analyse verfolgen. Natürlich hängen Macht und Ökonomie zusammen, sind untrennbar miteinander verflochten. Aber kurz gesagt, gehe ich weder davon aus, daß die Macht zentral der Erhaltung und Reproduktion der Ökonmie dient, daß sie sozusagen zu diesem Zweck erfunden wurde; noch gehe ich davon aus, daß die Machttechniken dem Warensystem nachgeformt sind. Es wäre zu einfach zu behaupten, die Bourgeoisie hätte die Einsetzung dieser zahlreichen Agenturen der Kontrolle beschlossen. Es geht hier weniger um die Intentionen der herrschenden Klassen, als um Diskurse, die sich historisch gekreuzt und in ihrer Wirkung verstärkt und stabilisiert haben, denn natürlich zeitigten und zeitigen die Machttechniken ökonomische Vorteile und sind für das Funktionieren kapitalistischer Produktion notwendig. Macht vollzieht sich aber in einer anderen Art und Weise als der Warentausch. Sie wird über eine netzförmige Organisation ausgeübt, schreibt Foucault: "Und die Individuen zirkulieren nicht nur in ihren Maschen, sondern sind auch stets in einer Position, in der sie diese Macht zugleich erfahren und ausüben; sie sind niemals die unbewegliche und bewußte Zielscheibe dieser Macht, sie sind stets ihre Verbindungselemente. Mit anderen Worten: die Macht wird nicht auf die Individuen angewanddt, sie geht durch sie hindurch. Das Individuum ist also nicht das Gegenüber der Macht. Es ist, wie ich glaube, eine seiner ersten Wirkungen."

Wenn wir noch einmal zum Hans-im-Glück zurückkehren, so ist er noch ein recht unsicheres Ergebnis von Machttechniken in frühkapitalistischen Zeiten. Auf ihn ist kein Verlaß. Er hat noch nicht ganz begriffen, was normal ist. Er scheint auch noch nicht recht, die Lektion der Angst gefressen zu haben. Wir hingegen scheinen am Ende von Hans' Wanderung angekommen. Die Machttechniken sind feiner, miniaturisierter, unsichtbarer und gleichzeitig allgegenwärtiger geworden zu sein. Das Heer der Normalisierungsagenturen ist geradezu explodiert. Du brauchst Dich nur umzudrehen, und du triffst einen Sozialarbeiter oder Therapeuten, einen Ingenieur des Verständnisses und der Besserung - repressive Toleranz. Sehr, sehr vereinfacht argumentiert, könnten wir sagen, daß der Kapitalismus in den westlichen Industriestaaten durch eine historisch grausame Phase der Ausrichtung der Individuen an Produktivität und Effizienz gegangen ist, durch die Phase der sogenannten ursprünglichen Akkumulation; daß sich eine Phase zentralistischer Produktion, der großen Fabriken, des Taylorismus und Fordismus angeschlossen hat, und daß wir uns nun in der spätkapitalistischen Phase befinden. Diese ökonomischen Phasen sind mit jeweils spezifischen Machttechniken zusammen gegangen. Wesentlich ist, daß der Kapitalismus in zunehmender Tendenz nicht mit der Unterdrückung von Gegensätzen operiert, sondern mit ihrer Integration. Er produziert beständig Wunschbilder. Er deterritorialisiert, wie Deleuze und Guattari sagen. Das heißt, er ist produktiv, dynamisch und setzt beständig aus Abhängigkeiten frei. Religion, Familie und traditionelle Werte werden nicht nur von emanzipatorischen Bewegungen angegriffen, sie werden auch von der Logik des Kapitalismus selbst aufgefressen, weil dieser beständig neues Terrain der Verwertung zuführt. Deshalb ist der Kapitalismus ein prekäres Projekt und muß beständig daran arbeiten, die Widersprüche, die er frei setzt, im Griff zu behalten. Im Moment scheint das ja ganz gut zu klappen. Denn augenscheinlich hat sich das heutige System formidabel mit dem Wissen der minoritären Kämpfe gewappnet: Die Grünen sind zum Juniorpartner der regierenden Sozialtechnologen geworden. Die Bewegung der Alternativbetriebe hat angenehm zur Steigerung des kapitalistischen Angebots beigetragen. Der Bioladen an der Ecke sorgt für die korrekte Ernährung des postmodernen Citoyens. Die Frauengleichstellungstelle verwaltet den Feminismus. In den großen Unternehmen arbeiten die Ingenieure in Kollektiv- und Kleingruppenstrukturen. Überall gibt es gut gelaunte Teams. Die Lohnarbeitenden spielen Sozialpartnerschaft, und die entgarantierten JobberInnen freuen sich über flexible Arbeitszeiten. "Ein individuelles Leben", schreibt Brian Massumi, "ist eine serialisierte, kapitalistische Mini-Krise, ein Desaster, das deinen Namen trägt." Das Interessante ist also, daß wir in einer Zeit leben, in der der Kapitalismus so dynamisch und produktiv geworden ist, daß die Phase der aggressiven Normierung und Disziplinierung längst überschritten ist. Normalisierung schreitet im Zeichen von Differenz voran.

Und irgendwann sind am Horizont des spätkapitalistischen Systems auch die RaverInnen aufgetaucht und starteten einen kleinen, minoritären Angriff auf die Verwaltung von Freizeit und Genuß durch die Ingenieure der Jugendkultur. Auf den ersten Blick ist die Techno-Party ein Ort für den Hans-im-Glück des Spätkapitalismus. Hier kann man sein Glück machen: lauter Versprechen von der Auflösung dummer bürgerlicher Regeln und vom schönen Selbstverlust. Der erste Blick soll noch einmal der Dissidenz von Techno gelten, die mit dem Schlagwort "poststrukturalistischer Soundtrack" (Force Inc.) ihre weitestgehendste, radikal-schicke Auszeichnung erhielt: Für eine Nacht ist man einen Schritt weit draußen, außerhalb des kleinlichen Koordinatensystems von Arbeit, Verpflichtung und Selbstkontrolle. Für eine Nacht kann man dumm und verrückt spielen, und so tun, als würde man nicht schon morgen oder übermorgen wieder fleißig Ich-Identität einstudieren. Das zeichnet in gewisser Weise wahrscheinlich jede gelungene, eskapistische Nachtschwärmerei aus, jede Lust rauszugehen und sich das Gehirn auf einem Konzert leerfegen zu lassen - Musik lauter als die eigenen Gedanken -, sich von sich selbst zu beurlauben, falls es denn klappt, und durch die Kneipen zu streifen, schneller als das Gefühl der Langeweile, mit Drogen als Antwort auf die diffusen, hungernden Bedürfnisse. Der freundliche Blick auf Techno fällt aber sogar noch auf eine ganze Reihe weitergehender Glücksversprechen, auf eine ganze Reihe von Absagen an die großen Signifikanten der Kultur, das originäre Werk, den genialen Autor, den Star, den Applaus, die handwerkliche Mühe, ein Instrument zu spielen, die zentrale Position von Stimme und Melodie, die Verwaltung von zeitweiligem Spaß durch kommerzielle Freizeitangebote, das symbolische Kapital der "wichtigen" kulturellen Rezeption. Ein pathetisches Programm der Techno-Subversion lautete dann ungefähr so: Erstens: Die fröhliche Verschaltung mit den elektronischen Maschinen. Du mußt kein Instrument spielen können, um Musik zu machen. Die Maschinen sind deine Freunde. Du kannst mit ihnen Geräusch und Sound produzieren. Der Anschluß an die Maschinen schafft Schnelligkeit und Flexibilität. Die technischen Mittel ästhetischer Produktion liegen in Deiner Reichweite. Jede ist DJ, jeder Techno-Produzent. Die Bedienung der Maschinen wird kein Geheimwissen einer technisch-wissenschaftlichen oder künstlerischen Elite bleiben, sondern frei in Umlauf gebracht. Jedem Kollektiv eine 303 und eine 909. In einer noch sehr entfernten Perspektive könnte die Verschaltung mit den Maschinen die festgefügten Ich/Über-Ich Verhältnisse der Subjekte verändern und aufbrechen. Die us-amerikanische Feministin und Naturwissenschaftstheoretikerin Donna Haraway hat in diesem Sinne von Cyborgs gesprochen, von Organ-Maschinen, von Mensch-Maschinen-Kopplungen. Die Vorstellung des Cyborgs greift einen zentralen Bestandteil abendländischer Philosophie an, das Denken in determinierten Gegensätzen: hier Mann, dort Frau; hier Kultur, dort Natur; hier Vernunft, dort Sinnlichkeit usw..

Zweitens: Die Maschinen werden gegen ihre Gebrauchsanweisung benutzt. Sie sind keine potenzierten Heimorgeln, mit denen man saubere Klavierklänge simuliert. Mit ihnen produziert man einen Kommentar zur traditionellen Vorstellung von Musik. Man bringt noch den Herstellungsprozeß zum Klingen, das Rauschen der Maschinen. Wenn Musik gefiltertes Rauschen ist, die Reduktion von Geräusch auf sich wiederholende und wiedererkennbare Klänge, dann kann man genau mit diesem Verhältnis von ungefiltertem weißen Rauschen und redundanter Musik unter Computerbedingungen spielen. Abstrakt und Ambient. Drittens: Alle werden zu potentiellen Sendern. Du mußt nur den Abfall der großen elektronischen Produktionen, der militärischen Forschung und der industriellen Herstellung, also jene Gadgets der Freizeitindustrie wie Bass- und Drum-Computer, in die Hand nehmen. Ihre massenhafte Ingebrauchnahme wird das einseitige Verhältnis von Sender und Empfänger aufbrechen, das Baudrillard als eines der abstraktesten Machtverhältnisse bezeichnet hat. Der Dauermonolog der Medien wird von deiner eigenen kleinen, dreckigen technisch unterstützten Praxis unterbrochen. Viertens: Die Dezentrierung des Subjekts. Die Party ist die Situation, in der du für einen Moment deine einstudierte Selbstdisziplin verlieren kannst. Mitten in einem Raum von lautem Sound und pulsierendem Licht vergißt du vielleicht, wenn auch nur für einen Moment, deine festgefügte bürgerliche Identität, bekommst ein Gefühl von körperlichem Vergnügen jetzt sofort. Es geht nicht mehr um einen abgeleiteten Genuß zweiten Grades im Sinn von: "Diese Musik ist klasse, weil sie von XYZ gemacht wird." Und im besten Fall geht es auch nicht mehr um eine regressive psychoakustische Euphorie, die die eigenen Ressourcen an Kitsch anzapft, die die in die Körper eingelassene Sehnsucht nach melodiösen Klängen anspricht oder jene totalitäre Erregung durch martialische, hierarchisch montierte Sounds herstellt. Es geht um musikalischen Maschinismus: eine gewisse Leichtigkeit und Entgrenzung des Körpers, wenn man lange Zeit in einem von abstraktem Sound und Licht markierten Raum tanzt. Diese bewußtlose Freude entsteht wahrscheinlich im Anschluß an diese lang anhaltende Dauer elektronisch produzierter Musik, die sehr einfach, sehr minimalistisch, sehr wiederholend ist. Du stehst in einem maschinell erzeugten Sound-Raum, und der Wunsch auszuflippen wird nicht von einem zentralen Angebot bedient, weder von der Person des Stars noch von einer hierarchischen Struktur der Musik. Fünftens: Das Clubprinzip. Techno hat seinen ersten Ort im Club oder in der zeitweilig auserkorenen Location in irgendeinem Keller, Bunker oder aufgelassenem Fabrikgelände. Wenn die Stadt zu einem glatten, regulierten System sauberer Oberflächen geworden ist, in dem Autos und Passanten im Sinne der Straßen- und Warenverkehrsordnung zirkulieren, dann eröffnet der Club eine außerordentliche Nische. Die Eröffnung eines Techno-Clubs ist eine wortlose, also sprachlich unartikulierte Maßnahme gegen die kapitalistische Verwaltung von Zeit und Raum. Keine Uhren, keine Verkehrsschilder. Ihr Inhalt ist die Form: die Aneignung von Ort, Zeit, Genuß und die Verschaltung mit Maschinen. Funktioniert der Club gut, funktioniert er im Kleinen, und die Positionen von DJs, ClubbetreiberInnen und RaverInnen sind wenigstens in Ansätzen austauschbar.

Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick muß sich die Frage natürlich an dieses pathetische Programm selbst richten, an diesen Anspruch auf Subversion wenden. Gehört das überhaupt zusammen: Musik und Subversion? Subkultur und Widerstand?

Seit der Diskussion um das Ende der Jugendkultur, die von der 'Spex' mit der Beobachtung einer Malcom X-Kappe auf den rassistischen Angriffen in Rostock begonnen wurde, ist noch einmal über subkulturellen Partikularismus, Revolte, Kapitalismus und Pop geredet worden. Mir geht es darum, daß ein Programm der subkulturellen, ästhetischen Subversion in einem kybernetischen Kapitalismus nicht funktionieren kann. So what? Musik, Subkultur, ästhetische Praxis müssen ja auch gar nicht funktionieren, müssen keiner instrumentellen, politisierten Logik gehorchen. Es geht vielleicht allein um die Frage, wie eine ästhetische Praxis, die wie Techno einige fortschrittliche Vergnügen in den Alltag einführt, nicht darin endet, Trendfutter für den kapitalistischen Markt der Differenzen zu werden. Sven Väth hat unter dem Motto "Grüne Socken" im Techno House Book "Localizer 1.0" klar gemacht, daß er diese Fragestellung für unrelevant hält: "Damals in den 'goldenen Zwanzigern' kokste sich die Gesellschaft ohne Rücksicht auf menschliche Verluste über Probleme hinweg. Heute erleben wir ähnliches, wobei jedoch das Bewußtsein und die Lebenseinstellung positiver sind. Es scheint so, als ob sich das Lebensgefühl ändert und gesellschaftliche Probleme aus einer anderen, kommunikativeren Perspektive gesehen werden. Diese Generation wird dazu in der Lage sein, Probleme durch Handeln zu lösen. Mit jedem Jahr wird die Einsicht größer, einmal Fehler begangen zu haben, und daraus bilden sich neue Szenen, die aus dieser Erkenntnis eine Philosophie für ein neues Leben entwickeln. Ob diese Szene nun 'in' oder 'trendy' ist, bleibt denjenigen überlassen, die sich mit der Ausschlachtung der Trendformen beschäftigen. Ich werde mein Ding weiter mit der gleichen Konsequenz durchziehen, ganz egal, ob sich dahinter ein Trend oder eine gesellschaftliche Evolution verbirgt." Dieser schwachsinnige Positivismus will natürlich daran vorbeisehen, daß im Spätkapitalismus zwar tausend Möglichkeiten des Handelns offen stehen, daß geradezu eine Aufforderung besteht, sich zu artikulieren, kreativ und dabei zu sein - bitte partizipiere, speise dich ein -, daß aber kaum ein Handeln möglich ist, daß die Koordinaten dieses Systems überschreitet, weil der Kapitalismus eine Gesellschaftsformation ist, die - anders als vorangegangene - nicht so schnell an ihren Widersprüchen scheitert, sondern permanent Widersprüche integriert, verwaltet, fruchtbar macht. Die Macht ist in erster Linie nicht mehr repressiv, sondern kommunikativ und produktiv. Der neue, dazu passende Sozialisationstyp, der die Hunderte von Jahren alte Schule der Normierung und Disziplinierung absolviert hat, ist das fröhlich-freiwillige Subjekt der Partizipation.

Dabei! Dabei! Es ist nur insoweit befreit und hat lauter freie Möglichkeiten zur Hand, wie es mehr und mehr nichts weiter zum Feind hat außer sich selbst. Macht und Kontrolle sind im Subjekt zu sich selbst gekommen. Dieses fröhlich-freiwillige Subjekt-Produkt ist ganz Ergebnis einer medial konstituierten Zeit. Es ist illusionär, weil sein Zustand der eines illusionären, unhistorischen, unmaterialistischen Zeit-Raum-Empfindens darstellt, das nicht nur die geheime Botschaft der Geschichte vom Hans-im-Glück nicht mehr kennt. Zwischen ihm und der Gesellschaft herrscht der Konsens des angehäuften Nichts, mit dem man zurecht kommt, indem eine kurzlebige Rückkehr zur Positivität möglich wird, wo man ganz bei sich, ganz bei den Dingen ist: "Ich werde mein Ding mit der gleichen Konsequenz weiter durchziehen." Nur Bewußtlosigkeit kann dazu führen, das als Perspektive zu betrachten, was kaum mehr als eine der möglichen Formen hoffnungsloser Identität ist: Alles Wahrnehmen, selbst dann, wenn es nur die reinen Formen des Warengenusses und der folgenlosen Ablenkung sind, alles Ausagieren, auch wenn es den Horizont der Tauschwert- und Freizeitindustrie-Bedingungen nicht überschreitet. Unsere Situation scheint die zu sein, vom Wissen her, von den angehäuften Informationen, Texten und Produktionsmitteln dieses System überwinden zu können, und gleichzeitig praktisch von den Möglichkeiten der verändernden Intervention abgeschirmt zu sein. Subjektivismus ist die dazugehörige Ideologie zusammenhangslos existierender Einzelner. Ein Denken des sich Durchschlagens, ohne jemals durchschlagende Erfahrungen zu machen, eine positivistische Sicht des Einzelnen, das insgeheime Einverständnis, unfähig zu radikaler sozialer Praxis zu sein. Einrichten auf der Abwesenheit einer sozialen Bewegung. Sich Abfinden. Das ist der Kontext einer ravenden Gesellschaft, die eine ästhetische Praxis in die Gesellschaft einführt, ohne die Gesellschaft zu verändern. Sie macht damit nichts anderes, als das im Techno liegende Vergnügen in den Kapitalismus einzuspeisen: Ein weiterer techno-luminös-kinetischer Raum medialer Ablenkung. Reststücke des Vergnügens bleiben sogar noch im kommerziellen Format des seriell produzierten Raves übrig. Aber die formalen Fortschritte verschwinden: Die Stars kommen zurück, der Kitsch, die Trennung in Betreiber, DJs, Publikum usw.. Es verhält sich ganz so wie bei Graffitis, die man entweder zur Kunst erklärt oder ihnen öffentliche Tafeln und Wände zum Vollsprühen zur Verfügung stellt. Gerade weil Techno eine sprachlose, sehr auf strukturellen Formen beruhende Maßnahme ist, in der verbale Momente und sprachlich artikulierte Radikalität keine Rolle spielen, ist Techno so schnell und reibungslos integrierbar. Das soll kein Argument für mehr Text in Subkulturen sein. Das Schöne am Techno ist ja gerade seine Sprachlosigkeit, seine Abstraktheit. Beim Techno ist die Form der Inhalt - ganz im Sinne einer Aufhebung der Trennung von Politik und Leben.

Der Kampf gegen die Macht läuft ja nicht primär über Ideologie, über die Verbreitung der guten Botschaft des Besseren und Richtigen, läuft auch nicht primär über Aufklärung. Macht selbst operiert heute nicht mehr an erster Stelle ideologisch. Die Ideologien sind im Fest der Partizipation, der Kommunikation, der Medien weitgehend erloschen. Ich denke also, der Kampf gegen die Techniken der Macht wird wahrscheinlich nur ganz unwesentlich dadurch gewonnen, daß man die besseren Argumente hat. Wichtig sind auf alle Fälle Orte und Ereignisse, an denen eine andere Zeit direkt und kollektiv spürbar wird. Interessant ist aber nun, was die subkulturellen Orte und Ereignisse anbelangt, wie stark der Kapitalismus in der Lage ist, ästhetische Formen umzuwerten. Der Schritt vom illegalen Rave zum Camel gesponsorten All-Area-Unity-Love'n'Peace-Mega-Rave war nicht groß. Damit wir uns richtig verstehen, das soll hier kein Versuch werden, ein Museum der Minoritäten vor dem bösen Kapitalismus zu bewahren. Was ist Ihre Lieblingsminderheit? Wenbeneiden Sie am meisten? Die Dynamiken sollen deutlich werdedn. Ein System, das in den letzten Jahrzehnten seine repressiven Machtstrukturen um Produktivität, um die Aufforderung zur Partizipation, zu Kommunikation und Selbstverwirklichung ergänzt hat, annektiert beständig Räume, in die die losgelassenen Wunschenergien der Leute abgelenkt werden können; wobei das Trendfutter-Werden, die Einspeisung in den kapitalistischen Markt der Differenzen nicht allein das Problem derjenigen ist, die Trends journalistisch konstruieren und freizeitindustriell verwalten. Es existieren lauter kleine Entscheidungen in der Techno-Community, die der einen oder anderen Richtung den Vorzug geben. Als in München die "Ultraworld" von der Kulturstation in den Riemer Flughafen übersiedelte, gab es eine nette Hegel-unterstützte Replik: "...Der Blick in die 'Nacht der Welt' gehört, wie Hegel betont, dem 'träumenden Geiste' an: Dieser kommt nicht umhin, irgendwann zu erwachen, das heißt, das magische Viereck der Tanzfläche zu verlassen. Nicht umsonst aber spricht Hegel von diesem Erwachen als dem Eintauchen in 'das Reich der Namen'. Und tatsächlich: Eben noch ganz reines Selbst und versunken in einer Nacht 'jenseits der Welt' - Ultraworld nennen sich diese Tanzabende -, sieht sich das Techno-Subjekt, auch wenn es vielleicht nur einmal kurz aufs Klo wollte, wieder ganz dem strengen Regiment jenes 'Reichs der Namen' unterworfen, das die Freizeitindustrie im Namen der Neuen Münchner Hallenkultur der aufgelösten Ordnung des Flughafens aufgepfropft hat. Wie sich des alten Adams 'erste Schöpferkraft' zunächst einmal darin geäußert hat, 'allen Dingen einen Namen' zu geben, so machen auch die neuen Herren über die alten Terminals ihr 'Majestätsrecht und erste Besitzergreifung' geltend, indem sie symbolisch Bezirke abstecken, eine ganze Ordnung der Trennungen, der Absperrungen und der kanalisierten Bewegungen entwerfen, die dann allabendlich nur noch von austauschbaren Konsumenten-Subjekten ausgefüllt zu werden braucht. Wegweisende Schilder lenken dich in deine Warteschlagen: Disco Orange, Bundymania oder eben Ultraworld. Security-Schergen checken deinen Body auf mögliche Sicherheitsrisiken ab, schlagstockbewehrte Uniformierte verwehren deinem unbefugten, schon nicht mehr träumendem Geist den Zutritt zu einem V.I.P.-Lounge genannten Sperrbezirk, Sanitäter patrouillieren durch die Wartehallen, und vor den Klos wacht ein schläfriger Student über die Einhaltung der symbolischen Grenzen zwischen Damen und Herren. Alles verhält sich ganz so, als müßte hier der Gefahr einer Techno-Rausch erzeugten Zerfallsenergie durch die prophylaktische Identitätsfixierung des Subjekts und die ordnungsmäßige Begrenzung seiner Handlungsmöglichkeiten begegnet werden. Es ist, als ob der in der bestimmungslosen, stroboskop-durchzuckten 'Nacht der Welt' bloß simulierte Zusammenbruch der symbolischen Ordnung sogleich eine paranoid-despotische Überproduktion von symbolischen Begrenzungen und Einschränkungen ins Leben rufen müßte.

Viele Momente des Techno-Subversions-Programm, die immer wieder genannt werden, sind nicht ausgeweitet worden. Das liegt zum Teil an dem gerade skizzierten Problem von Subversion unter spätkapitalistischen Bedingungen, weil Subversion zur Funktion des Systems selbst geworden ist. Ein kybernetisches System kann man schwer subvertieren. Es besitzt den strategischen Vorteil, Momente des Neuen, des Alternativen, des Anderen integrieren zu können. Hier geht es nicht nur um Kybernetik, sondern auch um Semiokratie (Zeichen-Herrschaft), weil die Integration von Differenzen darüber läuft, reine Zeichen von einer Sache aufzugreifen und den Sparten Mode, Exotisches, Radikal Schick usw. zuzuführen. Der Kontext von Techno, sein Inhalt – progressive Sound-Ästhetik, progressive psycho-akkustische Euphorie, Club-Prinzip, Austausch der Positionen von ProduzentInnen und KonsumentInnen, Mensch-Maschinen-Kopplungen, Dezentrierung des Subjekts usw. -, dieser Kontext wird in der Folge abgeschnitten und bleibt marginal. Was frei flottiert, ist das Zeichen von Techno: Cyberspace-Ästhetik, Clubwear, elektronische Sound-und-Licht-Räume, Rausch und Ekstase unter den Vorzeichen von Instant-Pop und Freizeitindustrie. Diese Entwicklung liegt auch darin begründet, daß nur wenige in der Techno-Community Lust dazu haben, die Dynamik der Integration zu unterbrechen. Mal abgesehen davon, daß Mainstream sein, nicht besonders schick ist und daß natürlich alle auf die dummen Nachahmer schimpfen, scheint es kaum jemanden weiter zu interessieren, wie eine ästhetische Praxis dem entgeht, Frischzellenkur fürs Cultural Engineering zu spielen. Viel Spaß noch. The revolution is just one T-Shirt away.