Pop-Politics

Über Punk-Rebellion, Pop-Subversion, Techno-Dissidenz und andere verlorene Schlachten

Oliver Marchart

deutsches abstract für die Sounds-Fair 1996:

Der Vortrag wird sog. "subkulturelle" politische Praxen behandeln - dh., die Politik und dazugehörige Theorie ("organische" und akademische) von sich hauptsächlich über Pop definierenden Jugendkulturen.

Ein theoretisches Sprechen über Sub- und Populär-Kultur, muß - will es gegenüber seiner eigenen Position nicht blind sein - heute ausgehen von einer immer stärker werdenden Transferleistung einerseits von den Theoretikern zum Pop (cultural studies kleben sich an die Jugendkultur) und vom Pop zu den Theoretikern (Force Inc. kleben sich an Deleuze/Guattari). Axiom dabei ist einmal: Hinter jeder pop-politischen Praxis steht eine Theorie, so "organisch", also unbewußt und möglicherweise trivial sie sein mag (von den berühmten Merve-Bändchen bis zu Bravo-Interviews). Die "organischen Intellektuellen" der Subkulturen (Fanzine-Macher, label-Chefs, Club-Besitzer, sonstige Hipness-Scouts) ziehen für ihre Politiken, wo solche als "Rebellion", "Subversion" oder "Dissidenz" gewünscht sind, Theorie bekanntlich nicht nur als Werkzeug, sondern als Waffe, als Bewaffnung heran. Daher kommt es ihnen nicht auf eine "korrekte", sondern auf eine praktische Lesart an. Dieses down-loading bestimmter Irrtumslektüren von Theorie dient zur Bewaffnung mit Selbstverständnis und zur Sinngebung der eigenen subkulturellen Praxen. Umgekehrt up-loaden die akademischen Pop-Theoretiker bunte, spannende Subkultur in ihre Staubwolken.

Theorie-basierte Bewaffnung ist nicht zu unterschätzen, denn sie sichert vor allem für Mittelschichtjugendliche den Distinktionseffekt gegenüber "untertheorisierten" Szenen: Studenten-Ambient etwa distanziert sich gegenüber Proll-Happy-Hardcore eben u.a. über gesteigerte reflexivity. Man muß wissen, warum einem was gefällt. Distinktion, kommerzielle wie soziale wie politische, ist nicht zu lösen von credibility, von Anerkennung durch Glaubwürdigkeit. Einmal verlorene credibility läßt sich möglicherweise zurückgewinnen über "musikalische Wiederbesinnung" (die letzte Platte der Fantastischen 4 markiert so einen massiven industriellen Reinvestment-Versuch in ein bißchen credibility). Sie läßt sich aber nicht nur "innermusikalisch" zurückgewinnen, sondern auch über eine (Re-)politisierung der eigenen Position, über ein Reinvestment in "Subversions"-Aktien, in radical chic, etc.

Hier fand von Rock zu Punk zu Pop zu Techno eine Bewegung von simpel behaupteter Rebellion zu immer sophistizierteren Begründungs- und Argumentationsgängen statt. Dem Konzept bloßer Rebellion ist eben schneller anzusehen, daß es nicht funktioniert, als dem Konzept Subversion, das sich gar nicht erst auf die Logik des Funktionierens, des wirklichen Ausbruchs riskanter Aktionen, einläßt. Deshalb ist der Begründungsaufwand für "subversive" Praxen auch größer, denn ihre Effektivität wird ja ständig vom realen Fortgang der gesellschaftlichen Verhältnisse widerlegt.

In den 80ern war es dann in der Pop-Theorie soweit. Jetzt war auch jener Pop, der völlig auf den Rebellionsgestus pfiff, trotzdem subversiv. Der Zweig des post-politischen Pop, wie ihn Steve Redhead nannte, würde die "lost links between popular music and deviance" bewahren, gerade weil er sie nicht explizit macht. Das Manchester Institute for Popular Culture um Redhead steht hier in einer Tradition von Bachtin über DeCerteau zu Hall bis Fiske, die dem Populären eine geheime Subversionskraft zuschreibt. Darauf berief sich die Pop-Subversions-Politik gern.

Gesteigert wurde diese Subversionskraft-Annahme gegebenenfalls bis zur hysterischen Umarmung des Populären: "Wir brauchen noch mehr Reize, noch viel mehr Werbung Tempo Autos Modehedonismen Pop und nochmal Pop", wie damals Rainald Goetz dichtete. Wenn man nur lange genug aufs Gas trete, dann lande man am Ende von Pop bei RAF. Diese Überaffirmationsstrategie (und die ihr unterliegende hegelsche Idee des Umschlagens) wurde in den 80ern in allen Variationen durchgespielt: dafür stehen Namen wie Jeff Koons oder die NSK resp. Laibach.

Aber während die fröhlichen Pop-Subversions-Hirsche der '80er inzwischen weitgehend unter Naturschutz gestellt sind, haben sich neue, smartere Argumente gefunden, um etwa über "poststrukturalistische Soundtracks" (à la Mille Plateaux) Deleuze/Guattari zu verkochen. Das Komikerduo des Poststrukturalismus wird im Techno-Paradigma nicht mehr zur theoretischen Abgleichung der eigenen realen oder eingebildeten Mikro- und Minoritätspolitik herangezogen wie in den 80ern, bekanntlich auch die Zeit der new social movements, sondern zur Beschwörung des freien libido-flows im Sinne der psychodelischen Retro-60er und -70er-Schizo-Politik. So beziehen sich viele affirmativen Theorie-Texte zu Techno, Raves und Warehouse Parties - zumindest jene aus der heroischen Phase – auf Deterritorialisierungsphänomene wie körperliche Entgrenzung, tanzende Entindividualisierung, Enthierarchisierung des Verhältnisses von DJ und crowd, Demokratisierung der Produktionsmittel, etc. Dahinter steht die Hoffnung auf eine anti-autoritäre Kraft defixierender Bedeutungspraxen, wie sie von Deleuze/Guattari genährt wurde und die man heute im Rave angeblich wiederfindet.

Der Vortrag wird auf diese drei Spielarten von Punk-Pop-Techno-Politiken anhand von Textbeispielen eingehen - im Sinne einer "kritischen Würdigung".