Militante Untersuchung der prekären Arbeit

Viele fragen sich als erstes, was der Begriff "Militante Untersuchung" soll, es scheint sich zu widersprechen, wie soll man/frau einen Fragebogen auszufüllen ("Untersuchung") und zugleich Steine schmeißen ("militant"). Diese Begriffe sind aber anders zu sehen: militant heißt in den meisten anderen Sprachen nichts anderes als aktivistisch, nur im deutschsprachigen Raum scheint die öffentliche Diskussion so um den Gewaltbegriff zentriert, daß Militanz mit Straßenkampf (mindestens) gleichgesetzt wird.

In diesem Sinn bedeutet militante Untersuchung eigentlich eingreifende Untersuchung: das Hauptergebnis soll nicht ein Ergebnis sein, in dem beschrieben wird, wie die Untersuchten arbeiten (oder kämpfen), sondern die Untersuchung soll Verhältnisse ändern. Konkret geht es um folgende Punkte:

1. Zuerst einmal soll Reflexion im allgemeinen über die eigenen Arbeitsverhältnisse ausgelöst werden. Viele AktivistInnen der linken, autonomen, anarchistischen Bewegung leben in prekären Arbeitsverhältnissen, wobei die Diskussion darüber weitgehend tabuisiert ist. Es wird versucht zu überleben, Geld aufzustellen, Fragen von Widerstand gegen Arbeits- und Überlebensverhältnisse stellen sich nicht, wofür es verschiedene Gründe gibt: man/frau schadet sich selbst, man/frau ist vereinzelt, aber insbesonders, die Individualisierung wird nicht aufgebrochen.

2. Die Kommunikation und Information über die Arbeits- und Lebensverhältnisse soll ausgeweitet oder überhaupt erst möglich gemacht werden. In diesem Sinn ist es ein erster Schritt zum Erkennen von Gemeinsamkeiten und zum Durchbrechen der Individualisierung in der eigenen Arbeits- und Lebenssituation.

3. Erfahrungsaustausch über (die geringen) Widerstandsmöglichkeiten soll stattfinden und Überlegungen von anderen über ihre Vorstellungen von Widerstand und Organisation sollen kennengelernt werden.

4. Daraus sollte erkennbar werden, wie eine Organisierung der "Prekären" ausschauen kann, ob sie überhaupt möglich ist oder ob revolutionäre Organisation nur außerhalb des eigenen Lebens- und Arbeitsbereichs stattfinden kann.

Als Nebenprodukt soll es eine Broschüre geben, die die Ergebnisse zusammenfasst, nicht im Sinne von Zahlenverhältnissen, wir wollen nicht repräsentativ sein, sondern zeigen, welche verschiedenen Bedingungen, Vorstellungen es gibt, wie auch, welche Widerstands- und Organisationsvorschläge gemacht werden.

Prekäre Arbeit ist schwer oder eigentlich nicht zu definieren, es umfasst eine Vielzahl von Typen von Arbeitsverhältnissen: geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und Teilzeit, Leiharbeit, Kapovaz (Arbeit auf Abruf), Heimarbeit, Gelegenheitsarbeiten (tageweise, stundenweise, oft schwarz), Werkverträge, "freies Unternehmertum"... Negativ läßt es sich eher festlegen als Arbeitsverhältnisse, die kein kontinuierliches Arbeitsverhältnis, keine (oder kaum) Sozialleistungen wie die "garantierten Jobs" anbieten. Folgendes läßt sich aber festhalten, die Zahl der Menschen steigt, die auf solche Einkommen (ergänzend zu den noch bestehenden Sozialleistungen) angewiesen sind, und Frauen sind stärker betroffen als Männer (was auch in dem Schlagwort "Feminisierung der Arbeit" ausgedrückt werden kann).

Schwierig wird die Diskussion auch durch völlig unterschiedliche Bedingungen: es gibt verhältnismäßig gut verdienende Werkvertragsnehmer (z.B. ÜbersetzerInnen), wie auch viele, die am Lebensminimum von einem Job zum nächsten hetzen und nicht wissen, wo sie im nächsten Monat das Geld hernehmen sollen. Auch die Arbeitsbedingungen sind unterschiedliche: freie Zeiteinteilung bei Projekten auf Werkvertrag oder fixe Stunden beim Aufbau irgendwelcher Stände für Messen oder für Konzerte. Ist es schon bei garantierten ArbeiterInnen schwierig, ihre Interessen unter einen Hut zu bringen (was viele traditionelle Linke erwarten oder zumindest erhoffen), so ist es noch viel schwieriger, die Prekären zu organisieren.

In Italien und in der BRD hat es Ansätze dazu in den "Jobberinitiativen" gegeben, die aber wegen der Diskontinuität der Lebensverhältnisse keine dauerhaften Strukturen aufbauen konnten. Zugleich überleben (wie schon oben erwähnt) viele politische AktivistInnen in prekären Arbeitsverhältnissen.

FRAGEBOGENENTWURF:

1. Überlebensbedingungen (Geld): Woher kommt das Geld zum Überleben? Garantierte oder prekäre Arbeit, Sozialleistungen (Arbeitslose, Notsstandshilfe, Waisenrente, Karenz...), vom/von der PartnerIn, von der Familie.... Hat sich das im Laufe der Zeit geändert? Zum positiven, zum negativen. Welche und wieviele Einkommen laufen parallel? Hast du je die Chance gehabt, zu einer sozialen Absicherung (Arbeitslose, Pension) zu kommen?

2. Prekäre Arbeit? Gibt es positive Elemente in der prekären Arbeit? Freie Zeiteinteilung, Möglichkeiten, neben den Versorgungspflichten für Kinder zu arbeiten.... Hat sich das im Laufe der Zeit geändert? In den frühen 80ern hat es viele gegeben, die gesagt haben, daß sie gar nicht 40 Stunden arbeiten wollen, selbstbestimmt arbeiten wollen, jetzt haben solche Arbeitsverhältnisse stärkeren Zwangscharakter.

3. UnternehmerIn (Mehrfachnennungen!) Wie groß ist der Betrieb, welche Branche? Großbetrieb, Mittel- oder Kleinbetrieb, soziale, kulturelle oder politische Initiative.... Wieviele Angestellte hat der Betrieb und unter welchen Bedingungen arbeiten wieviele ArbeiterInnen / Angestellte? Wie ist die Beziehung zu den KollegInnen (unter gleichen Bedingungen, zwischen Festangestellten und Prekären)? Wie ist die Beziehung zum Chef / zu den Vorgesetzten? Indifferent und ablehnend oder freundschaftlich und solidarisch (insbesonders in kulturellen oder sozialen Initiativen).

4. Arbeitsbedingungen (Mehrfachnennungen!) Welche Art der Arbeit und wie hoch und welcher Art ist der Verdienst? Wie hoch ist die Arbeitsintensität? Ist sie höher als wenn du 40 Wochenstunden arbeiten würdest? Gibt es soziale Absicherungen? Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen-, Pensionsversicherung.... Gibt es (oder fehlen) zusätzliche Gelder? Erfolgsprämien, Überstundengelder, Weihnachts- Urlaubsgeld... Welche Probleme gibt es (oder gibt es im Verhältnis zu garantierter Arbeit nicht)? Streit mit den Kollegen, den Vorgesetzten / Probleme mit dem Aussehen, mit der Zeiteinteilung (Zu spät kommen, Abhängigkeit von der Versorgung der Kinder)

5. Lebensbedingungen: Wohnen? Allein, in einer Wohngemeinschaft, mit dem/der PartnerIn, mit Familie oder alleinerziehend mit Kind(ern). Abhängigkeiten? Vom Einkommen des /der PartnerIn. Zusätzliche Verantwortlichkeiten? Für Kinder. Freizeitmöglichkeiten? Kino, Konzerte...

6. Bezug von Sozialleistungen: Ist es problemlos oder gibt es Schikanen (bei Notstandshilfe, Sozialhilfe, Karenz...)? Ist es (wäre es) ausreichend für den Lebensunterhalt? Ist es möglich, Rechte durchzusetzen, wenn es Probleme gibt? Wissen über die Rechtslage? Ist die Einschüchterung so groß, daß Ruhigverhalten sicherer ist? Wie stark bist du vom Diskurs über Sozialschmarotzer betroffen (eingeschüchtert)?

7. Widerstand: Gibt es Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz? Sind sie überhaupt möglich? Wie

werden Forderungen (Lohnerhöhungen, Arbeitszeiteinteilung, Pausen) durchgesetzt? Individuelle Gespräche, gemeinsames Vorsprechen mit KollegInnen, Androhung von Arbeitsverweigerung, Drohungen, den Job hinzuschmeißen (weil es parallel andere gibt)... Bist du in deinem Lebensbereich außerhalb der Arbeit aktiv? Mietstreitigkeiten, Hausbesetzungen, kulturelle Initiativen .... Ist deine politische Aktivität außerhalb deines Arbeits- und Lebensbereiches oder hast du überhaupt keine Zeit und Lust (mehr) dazu? Könntest du dir vorstellen, Aktionen zu unterstützen, die mit deiner Lebenssituation indirekt zu tun hat? Z.B. Demonstrationen gegen Erwerbslosigkeit oder Unterstützungsaktionen für Hausbesetzer.... Hast du Angst bei Aktionen, daß es nachher Schikanen am Arbeitsplatz / auf dem Arbeitsamt gibt? Würdest du bei der Aktion mitmachen, auch wenn es möglich ist, daß dann dein Name dem/der UnternehmerIn oder dem Amt bekannt wird? Welche Aktionen würdest du vorschlagen um einen gemeinsamen Kampf (um ein gemeinsames Ziel?) von Prekären und Erwerbslosen (und ArbeiterInnen) zu führen? Öffentlichkeitsarbeit, Diskussion und Austausch über individuellen Widerstand, Demonstrationen, Unterstützung gewerkschaftlicher Aktionen zur Absicherung garantierter Arbeitsplätze, Organisierung außerhalb (oder innerhalb) der Gewerkschaft, Medienzentrierte Aktionen.

8. Ziele - Utopien: Wie stellst du dir dein Leben vor, das über das Überleben hinausgeht? Selbstbestimmtes Arbeiten, Einkommen ohne Arbeit(szwang), angenehmer Job mit genug Einkommen, Studium /Ausbildung abschließen /anfangen.... Ist dir individuelle Befreiung wichtig? Keine Diskriminierung, Veränderungen /Verbesserungen in deinen persönlichen Beziehungen / deiner Partnerschaft. Hast du kollektive Vorstellungen für ein zukünftiges Leben? Gemeinsam arbeiten, Wohngemeinschaft, Hausgemeinschaft...

9. Organisierung: Welche Art von Organisierung von Prekären oder Erwerbslosen kannst du dir vorstellen? Versuch der Anerkennung durch die und Integration in der Gewerkschaft, gewerkschaftliche Organisation der Erwerbslosen (wie die WALI - hocknstad). Nur zeitweise Organisation zu Zeiten der Aktivität (z.B. Koordinationen gegen das Sparpaket oder für die europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, prekäre Arbeit und Ausgrenzung) oder überhaupt nur Transparentmalen o.ä. Soziale Treffpunkte (zur Kommunikation und Biertrinken), Diskussionsgruppen Eigene Organisation der Prekären (mit Zeitung, Beratung, regelmäßigen Treffen...) Was wäre für die Art der Organisation am wichtigsten? Wirkung nach außen, neue Teilnehmer /Mitglieder, Zeitung, Soziale Beratung, ökonomische Absicherungen, Zusammenarbeit mit linken Gruppen / Parteien / Gewerkschaften, Bündnispolitik, internationale Kontakte, Information, Diskussion.

 

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