Strategie der Arbeitsverweigerung

Existenzgeldforderung klammert Rolle der Hausarbeit aus

von der Frauengruppe 'Glanz der Metropole'

Die Forderung nach Existenzgeld hat den Vorteil, daß sich damit viele unerschiedliche Inhalte verbinden lassen. Es ist aber ebenso möglich, viele Inhalte wegzulassen. Die Forderung selbst ist erst mal leer - hinsichtlich einer gesellschaftsverändernden oder gar einer geschlechtsspezifischen Perspektive. Sie wirkt auf der einen Seite wie eine realpolitische Forderung, die alte Modelle nach einer Umverteilung von Reichtum, nach gleichem Lohn für alle usw. gar nicht mehr berücksichtigt. Auf der anderen Seite verbreitet sie einen Hauch von Utopie, der in der Vorstellung einer Entkoppelung von Lohn und Arbeit und in der Vorstellung von Lohnarbeitsverweigerung liegt. Dieser quasi sozialrevolutionären Seite wollen wir zuerst nachgehen.

Die Idee, es könnte mit einem halbwegs sicheren finanziellen Hintergrund auch ein anderes Leben entstehen, erinnert einige von uns an die 80er Jahre, als die Kritik am Lohnarbeitsmodell politische Kultur einer deutschen (autonomen) Linken war. Die Verweigerung von Lohnarbeit schien das Versprechen eines gemeinschaftlich organisierten, mit Sozi und Arbeitslosenhilfe finanzierten, selbstbestimmten Lebens und politischen Agierens mit sich zu bringen.

Inzwischen finden die meisten dieser Generation gesellschaftliche Anerkennung doch über Lohnarbeit. Und/oder sie leisten Hausarbeit in der Kleinfamilie oder als Alleinerziehende. Und/oder sie sind verbittert über verpaßte Chancen beruflicher Selbstverwirklichung. Die Strukturen gegenseitiger Anerkennung und Unterstützung, eine Neuorientierung des Zusammenlebens jenseits von Kleinfamilie, patriarchaler Arbeitsteilung und Single-Isolation haben oftmals nicht getragen. Aus einer sich zunächst beiläufig auch in die Gruppen einschleichenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung heraus sind viele der Typen z.B. Verleger oder Akademiker geworden; Frauen arbeiten eher in Projekten im Sozialbereich.

Das weitgehende Scheitern dieser Versuche hat also nicht nur äußere Gründe, z.B. zunehmende Probleme mit dem Sozialamt. Es hat auch damit zu tun, daß bestimmte Fragen nicht gestellt worden sind, die grundsätzlicher an einem Arbeitsbegriff ansetzen, der unser aller Verhältnis zu Arbeit/ Reproduktion/ Freizeit prägt: die Frage z.B. nach Alternativen zur Polit- oder Lohnarbeit einerseits und der Freizeit in der romantischen heterosexuellen Zweierkiste andererseits, nach einer alternativen Kinderversorgung oder danach, wie der Verzicht auf Prestige und Status durch Lohnarbeit durch etwas anderes ausgeglichen werden kann. Dieser Verzicht bedeutet für Frauen, denen gesellschaftlich - und auch in manchen linken Szenen - Abwasch und Kinderversorgung zugesprochen werden, etwas anderes als für Typen, die sich durch ihren politisch motivierten Verzicht viel eher auch noch als ein ganz besonderes männliches Exemplar mit etwas zusätzlichem Status versorgen können.

WG, Studium, Politgruppe

Das sind Fragen, bei denen der Gewinn und Verlust von Geld auch eine Rolle spielt, aber bei weitem nicht die einzige. Es gibt auch einen Gewinn und Verlust von Status, von Selbst, von Souveränität, der nach einer kapitalistischen Logik funkioniert, d.h. es gibt hier eine kapitalistische Ökonomie, die aber keine monetäre ist. Es wäre unserer Meinung nach wichtig, die bestehenden Erfahrungen nicht unter den Tisch zu kehren, sondern gerade dort anzusetzen.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns auch gefragt, in welchen Verhältnissen die Menschen eigentlich leben, die eine solche Konferenz veranstalten? Lesen wir die Texte, dann stellen wir uns diejenigen vor, die sie geschrieben haben und die ihr (und teilweise auch unser) Modell des Alltagslebens auf alle übertragen wollen: Leben in der WG, Studium, gesellschaftliche Anerkennung über Politgruppen und Texte-Schreiben, oftmals Geld von den Eltern oder die Erbschaft im Hintergrund, noch keine Kinder oder ein Leben - in Berlin - mit einem noch relativ guten Angebot von Ganztagskitas und Kinderläden. "1500 Mark plus Miete" und dieses Leben und sein entsprechender Konsumstandard wäre auf Dauer gesichert.

Er wird allerdings selten auf Dauer gelebt. Und es schließt sich die Frage an, inwieweit dieser Standard auf alle übertragbar ist, inwieweit wir Bedürfnisse von anderen in harte Münze umrechnen können. Daß der Arbeitsbegriff grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird, zeigt sich auch bei einem genaueren Blick auf das emphatische Versprechen einer "Entkoppelung von Einkommen und Arbeit", wie es mit der Existenzgeldforderung verbunden wird. Was die Arbeit zu Hause angeht, gibt es für die meisten ArbeiterInnen gar keine Koppelung von Arbeit und Lohn und hat es sie auch noch nie gegeben. Mit der "Entkoppelung von Einkommen und Arbeit" wird bloß eine Kritik der Lohnarbeit formuliert, während Hausarbeit gleichzeitig verdeckt wird.

Diese wird der Welt der Nichtarbeit, der sozialen Existenz, des kommunikativen Sich-selbst-Versorgens zugeordnet, die wir dann nachträglich scheinbar so voluntaristisch umstrukturieren können. Wir denken hingegen, daß man in einer politischen Kampagne das eine nicht ohne das andere adressieren kann.

Lohn für Hausarbeit

Was wäre, wenn wir die Existenzgeldforderung als eine Forderung nach Lohn für Hausarbeit neu definieren würden? Wir würden dann Lohn für Arbeit fordern, statt Geld ohne Arbeit; es ginge darum, "unsichtbare" Arbeit sichtbar zu machen, anstatt sie als Nicht-Arbeit im Sinne von sozialer Existenz zu interpretieren. Wir würden denjenigen, die Hausarbeit leisten, den Status zusprechen, der gesellschaftlich mit dem Ausüben einer Lohnarbeit verbunden wird. Die Vertreterinnen der "Internationalen Kampagne Lohn für Hausarbeit" haben in den 70er Jahren Lohn vor allem deswegen gefordert, um Hausarbeit verweigern zu können, nicht um sie zu machen.

"Wenn z.B. Fabrikarbeiter eine Lohnerhöhung verlangen, dann wissen sie, daß man versuchen wird, sie durch erhöhte Produktivität wettzumachen. Die Frage ist dann nur: Sind die Arbeiter stark genug, um sich dem zu widersetzen? Niemand sagt: ,Verlangt nicht mehr Geld, weil man Euch vielleicht mehr Produktivität aufzwingen will.` Jeder sagt: ,Setzt Euch dafür ein, daß Ihr mehr Lohn bekommt und weniger arbeiten müßt!` Genau dasselbe schlagen wir auch für Frauen vor." (Power of Woman Collective, 1973)

Viele der Frauen haben sehr viel Ironie bei ihren scheinbar realpolitischen Forderungen eingesetzt und darüber auch eine Distanz zu der Rolle der Hausfrau hergestellt, die sie ja angreifen wollten. Durch enorme Maßlosigkeit bei ihrer Neudefinition von Arbeit haben sie den Arbeitsbegriff - das, was als Arbeit oder Nicht-Arbeit gilt - immer wieder ins Spiel gebracht. So war Hausarbeit für sie z.B. auch die Mehrarbeit, die für Frauen durch den Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung entstehe. Daß sie keine andere Wahl haben, als sich als Feministin zu engagieren, bedeute "wiederum Mehrarbeit, Kämpfe, Durchsetzung von Forderungen". Eine autonome Lesbengruppe erklärte, daß es eine Menge Arbeit koste, den Diskriminierungen entgegenzutreten, die sie als lesbische Frauen treffen, daß es sehr harte Arbeit sei, "deiner Nachbarin etwas anderes zu sagen als deinem Chef." Arbeit entstand für sie sogar da - und das geht vielleicht am weitesten -, wo sie gar keine machen: "all die emotionale und all die sexuelle Hausarbeit, von der wir eine Menge verweigern".

Wir denken, daß es trotzdem problematisch ist, mit dem Begriff der Hausarbeit eine traditionelle Rollenzuschreibung aufzugreifen. Es ist aber ein Ansatz, zu überlegen, wie eine Forderung so formuliert werden kann, daß darin schon eine Verschiebung, eine ironische Distanz zur gegenwärtigen geschlechtsspezifischen und auch rassistischen Arbeitsteilung auftaucht.

Können wir heute ungebrochen an die Situation vor 20 Jahren anknüpfen? Hat sich nicht das Modell der Nur-Hausfrau als komplementär zum fordistischen weißen männlichen Lohnarbeiter längst aufgelöst und verabschiedet?

Hausarbeit immer noch in Frauen Hand

Eines ist sicher völlig gleichgeblieben: Für die sogenannte Reproduktionsarbeit - d.h. vor allem Hausarbeit und Kinderbetreuung - sind weiter fast ausschließlich Frauen zuständig, wie es auch Zeitbudgetstudien des Statistischen Bundesamtes oder eine Umfrage des Allensbacher Institutes wieder einmal - wir könnten sagen - überflüssigerweise belegen. Eine Zahl hier vielleicht dennoch: 0,1% der Personen, die 1994 Erziehungsgeld in Anspruch nahmen, waren Männer.

Die vieldiskutierte Auflösung der Kleinfamilie geschieht auch nur auf der Grundlage einer absolut zementierten Zuständigkeit von Frauen für Hausarbeit und Kinder: 87% aller Alleinerziehenden sind Frauen - und die Minderheit der 13% alleinerziehende Männer können mit Sicherheit mit mehr sozialem Prestige und sozialer Unterstützung rechnen.

Von der Geschlechterhierarchie her bleibt ökonomisch gesehen - wenn wir den Blick auf die Ökonomie von Seiten der Hausarbeit werfen - also alles beim alten; mit Abbau sozialstaatlicher Mechanismen wird heute sogar von einer zusätzlichen Reprivatisierung der Hausarbeit durch Abbau von Kindergärten und Pflegediensten gesprochen. Als Gruppe 'Glanz der Metropole' weisen wir aber auch darauf hin, daß es eine patriarchale Modernisierung in Bezug auf Hausarbeit gibt. Ein zunehmender Teil der Hausarbeit wird unterbezahlt von Hausangestellten, Babysitterinnen und Putzfrauen geleistet. Berufstätige Mittelschichtsfrauen delegieren die Arbeit, die innerhalb der herrschenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung von ihnen unbezahlt erwartet wird, unterbezahlt an andere Frauen, ohne daß damit die Ökonomie der Geschlechter in Frage gestellt wird. Innerhalb einer rassistischen Struktur des Arbeitsmarktes sind es zunehmend Migrantinnen, die diese Arbeit verrichten. In Bezug auf die Hausarbeit wird inzwischen von einer neuen internationalen Arbeitsteilung gesprochen. Schon an diesem untersten aller Arbeitsmärkte ist ersichtlich, wie tief verankert die Abwertung dieser Arbeiten ist.

Das ideologische Modell hat sich, trotz dieser Zementierung der Reproduktionsarbeit, verschoben. Die Doppel- und Dreifach-, Vierfachbelastung von Frauen als Zuständige für Pädagogik, Schöner Wohnen, Karriere, Fortbildung, intensive Partnerschaft und ambitionierte Freizeitgestaltung überschattet das - weiter in der Werbung für Waschpulver oder Margarine präsente – klassische Hausfrauenmodell. Die Hausarbeit wird mit dem zunehmenden Abschied vom ideologischen Hausfrauenmodell noch unsichtbarer. Das ganze Modell muß in einer Strategie der Arbeitsverweigerung angegriffen werden. Die beiden Sphären sind nicht zwei getrennte Bereiche politischer Kämpfe, z.B. wirkt auch in Hochlohnbereichen die Erwartung von Beziehungsarbeit und sexualisiertem Verhalten in die Arbeit von Frauen hinein.

Wenn die Forderung nach Existenzgeld als emanzipatorische oder sozialrevolutionäre Forderung Arbeitsverweigerung zum Ziel haben soll, können wir dies also nicht unterschreiben. Eine feministische Strategie der Arbeitsverweigerung hat viel weitergehende Konsequenzen und muß versuchen, nicht leerlaufende Forderungen zu unterstützen wie: "Vom Haus in den Beruf", vom "Beruf in das Haus" oder "Vereinbarkeit von Haus und Beruf".

Die Forderung nach Existenzgeld als realpolitische Forderung können wir dagegen voll und ganz unterstützen. Sie ist eine Politik gegen Armut und gegen die entwürdigende Bürokratie der Sozialhilfe. Unsere Betonungen in einer solchen Kampagne liegen jedoch auf Schwerpunkten, die in der Kampagne vorkommen, aber nicht genug herausgehoben werden. Beim Existenzgeldmodell muß gegenüber dem konservativen familienorientierten deutschen Sozialstaatsmodell positiv unterstrichen werden, daß damit die Unterhaltsabhängigkeit von Eltern und EhepartnerInnen gestrichen würde und eine individuelle Vergabe des Existenzgeldes auch an Kinder vorgeschlagen wird.

Ebensowenig wie die Forderung nach dem Ende patriarchaler Arbeitsteilung ist der Protest gegen den rassistischen Ausschluß aus der Sozialhilfe eine zusätzliche Forderung für diese Tagung, sondern eine grundsätzliche Voraussetzung für eine angemessene Debatte um das Existenzgeld!

aus: analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 425, 15. April 1999